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Große Fragen in 10 MinutenWarum lieben wir Fake News?

15. Mai 2025, 13:23 Uhr

Die Welt scheint im Moment ein Irrenhaus zu sein. Worüber wir reden, streiten und uns aufregen, ist einfach unfassbar. So gibt es Kanäle, auf denen tausende Menschen Argumente austauschen, die beweisen sollen, dass die Erde eine Scheibe ist. Nun könnte man meinen, lass sie doch. Soll doch jeder glauben und machen, was er oder sie denkt. Aber es ist ein Problem – für unser Zusammenleben und unsere Gesellschaft. Was also macht uns so anfällig für den absoluten Unsinn? Warum lieben wir Fake News?

Ob bei Familienfeiern, auf Partys mit Freunden oder in der Nachbarschaft – immer wieder tauchen Geschichten auf wie die, dass der menschengemachte Klimawandel nur Schwindel und Deutschland eine GmbH sei, dass die Welt von Reptiloiden regiert würde, Bill Gates uns chippen wolle und Eliten Kinderblut trinken würden.

Das Verrückte daran ist: Diejenigen, die das erzählen, sind meist unglaublich liebenswerte Menschen: klug, gebildet, hilfsbereit, mit beiden Beinen fest im Leben stehend.

Als Wissenschaftsjournalist steht man dann mit offenem Mund da und weiß gar nicht mehr, was man sagen soll. Nicht, weil man so etwas noch nie gehört hätte – das Internet ist schließlich voll davon – sondern, weil man sich ernsthaft fragt: Wie kommt ein intelligenter Mensch dazu, so etwas zu glauben? Warum docken Fake News eigentlich so super an, warum lieben wir sie so sehr?

Ein Dopamin-Kick für außergewöhnliche Geschichten

In der Geschichte der Menschheit waren Informationen einst genau so knapp wie Zucker. Heutzutage ist das natürlich anders – von beidem haben wir inzwischen reichlich, viel zu viel sogar. Und diese Historie macht uns Probleme: Wir können bei beidem schlecht Maß halten. Wir haben immer noch das Verlangen, soviel davon zu nehmen wie nur möglich. Wir ziehen sozusagen – auch wenn es um Informationen geht – die Banane durch das Glas mit Schokocreme.

Und das Verrückte ist: Unser Belohnungssystem reagiert mit dem Glückshormon Dopamin nicht nur auf Süßes, sondern eben auch auf Informationen – wenn sie überraschend, dramatisch und möglichst emotional sind.

Evolutionär betrachtet, ist das natürlich total sinnvoll, denn gerade die brisanten, die extremen Informationen waren überlebenswichtig für uns: Die Info, dass hinter dem nächsten Baum nichts lauert, ist theoretisch zwar genauso wichtig wie die Info, ich habe da gerade einen Bären gesehen – verlangt aber komplett andere körperliche Reaktionen.

Wir sind nicht für Fakten gemacht, sondern für gute Storys

Wir fahren also total auf Informationen ab, die in jeder Hinsicht vom grauen Alltag abweichen: "Es ist süß und zuckrig für unser Aufmerksamkeitssystem. Das heißt nicht, dass es süß und zuckrig ist, aber es ist verlockend. 'Ein Mann hat drei Köpfe' oder irgend sowas, dann ist es auch für mich: Oh Gott, ich muss mich da auch anstrengen, nicht hinzugucken, obwohl es der absolute Wahnsinn ist. Aber die Attraktion ist da und da muss man sich sehr diszipliniert verhalten", sagt Stephan Lewandowsky von der University of Bristol, England. Er ist einer der führenden Psychologen bei der Erforschung von Fake News.

Und genau damit stoßen wir auf das erste Problem: die Realität. Die ist oft grau, langsam – und komplex. Klingt furchtbar, oder? Und ist ja genau das Gegenteil von dem, was unser Gehirn liebt! Wir sind eben nicht für Zahlen, Fakten und Statistiken gemacht, sondern für Geschichten – und die dann noch möglichst brisant, gefährlich, spektakulär, originell, einmalig und emotional.

Genau das suchen wir ständig im Alltag und in der Politik. Und wir entdecken sie auch, die Geschichten, die 'geheimen Zusammenhänge' – mit mehr oder weniger realistischem Hintergrund:

Bill Gates – Pandemie – WHO?! Aha, da ist bestimmt was im Busch! – Zack Dopamin.

Der Nachbar hat den Misthaufen doch nicht zufällig an die Grundstücksgrenze gesetzt, oder? Das war doch Absicht! – Zack, noch mehr Dopamin!

Ob da was dran ist oder nicht, spielt erstmal keine Rolle, wir bleiben an der Nummer hängen. Und das führt uns zum zweiten und eigentlichen Problem: Dem Hängenbleiben, auch in den sozialen Medien.

Social Media – ein Förderband für Skandale, Dramen und Emotionen

Je länger wir an einem Thema hängenbleiben und auf einer Plattform verweilen, desto mehr Geld verdient sie. Die Gleichung ist simpel: Je emotionaler, desto interessanter, desto wertvoller für eine Social-Media-Plattform.

Untersuchungen zu Falschinformationen zeigen aber auch: Je emotionaler das Thema, desto wahrscheinlicher ist auch, dass es sich dabei um Fake News handelt, so Lewandowsky: "Und da ist es dann statistisch gesehen oft der Fall, dass die weitaus emotionaler sind als richtige Informationen. Aber hier ist das Problem: Weil die Falschinformation ist ja genau das, was die Leute – weil sie eben empörend ist – auf der Plattform hält."

Wir Menschen mögen es, wenn es menschelt. Also mögen es auch die sozialen Medien. Wie ein Förderband transportieren sie den Skandal, das Drama, die Emotion immer wieder nach oben. Dabei geht es gar nicht um Wahrheit oder Fake. Es geht einfach darum, welche Informationen wir öfter anklicken. Und das kriegen wir dann immer wieder volle Breitseite vor die Nase gesetzt.

Das ist vergleichbar mit der Vorstellung: Jedes Mal, wenn Sie die Haustür öffnen, hat der Essens-Service ihnen – ohne dass Sie es bestellt hätten – bereits Nudeln und Pizza, eine Cola und einen Schoko-Pudding vor die Tür gestellt. Der Service kennt sie ja! Im Falle von Social Media ist es eben nicht der Lieferservice, sondern der Algorithmus.

"Wenn ich vor 300 Jahren der Dorfidiot war, der gesagt hat: 'Die Erde ist eine Scheibe', dann hätten mich alle ausgelacht und keiner hätte mir geglaubt. Und ich hätte ganz leise in der Ecke gesessen", erklärt Lewandowsky. "Heutzutage kann ich auf Facebook gehen und auf einmal kriege ich tausend Leute auf der ganzen Welt verstreut, die meine Meinung teilen. Und ich denke: Wow, cool, yeah! Und dann auf einmal werde ich sehr laut und sehr davon überzeugt, obwohl es natürlich großer Kokolores ist."

Wir kommen von verschiedenen Informations-Planeten

Jede und jeder hat scheinbar plötzlich recht. Und als Teil einer großen Gemeinde kann man doch gar nicht so falsch liegen, oder? Fakten scheinen keine Rolle mehr zu spielen.

Damit geraten wir in einen Zustand, in dem wir merken, dass wir nicht mehr vernünftig miteinander reden können – weil wir von unterschiedlichen Informations-Planeten kommen: "Demokratie beruht darauf, dass man sich zumindest einigen kann, ob die Erde nun rund oder flach ist, zum Beispiel. Es gibt so fundamentale Sachen, wo man sich einfach einigen muss", so Stephan Lewandowsky. "Und wenn man dann einfach sagt: 'Nö, ich will nicht, dass die Erde rund ist, für mich ist sie flach' und dann so tut, als ob das okay ist, dann hat man ein irres Problem, weil das parlamentarische System dann nicht mehr funktioniert."

Der Einstieg ist oft ein Misstrauen gegen irgendetwas. Und grundsätzlich ist Misstrauen auch etwas Gutes. Im Zeitalter von Social Media kann das aber dazu führen, dass das Misstrauen – ob begründet oder nicht – immer nur gefüttert, aber nicht mehr in Frage gestellt wird. Und wenn man da nicht aufpasst, rauschen eine Menge anderer Argumente und kluger Gedanken an einem vorbei. Und natürlich wiegen die Argumente nicht gleich. Diejenigen, die die eigene Meinung bestätigen, scheinen immer wichtiger und richtiger als die anderen.

Wem oder was glauben wir also nun? Und warum? Diese Fragen führen zur nächsten Falle, in die wir unglaublich gern tappen – zutiefst menschlich, zutiefst emotional, aber eben wenig vernünftig: Wir verwechseln authentisch sein mit ehrlich sein.

Wir verwechseln Authentizität mit Ehrlichkeit

Wir lieben Typen, authentische Typen. Unnahbare, kühle, besonnene Charaktere dagegen sind uns weniger sympathisch. Auch hier schlägt das Gefühl die Vernunft: Das Gefühl nimmt die direkte Verbindung ins Herz, in den Bauch. Die Vernunft braucht immer den Umweg durchs Gehirn und muss immer nochmal durch die innere Qualitätskontrolle.

Donald Trump ist da für Stephan Lewandowsky das beste Beispiel: "Was immer er macht, er ist sehr ehrlich seinen Gefühlen gegenüber. Er sagt immer das, was er denkt. Als der auf Twitter war, da hat der Tweets gemacht, da wusste man ganz genau: Er ist jetzt wütend auf den und den. Ganz so wie ein Vierjähriger – ungefiltert, ehrlich, so denke ich gerade", so der Psychologe.

"Und diese Authentizität kann von Wählern als Ehrlichkeit verstanden werden. Und dann spielt es überhaupt keine Rolle mehr, ob er lügt oder nicht, ob er Falschaussagen macht oder nicht. Und diese Sprache ist für die Demokratie fatal. Weil es dann egal ist, was sich in der Welt abspielt, wenn man denkt, dass das einzige, was wichtig ist, ist, sich authentisch auszudrücken."

Wir verwechseln also Authentizität mit Ehrlichkeit. Und das Beispiel Donald Trump zeigt noch mehr: "Was wir herausgefunden haben, ist, dass es sich um eine fundamentale Einstellung gegenüber der Wahrheit und Ehrlichkeit handelt. Das heißt, wenn Leute denken, dass Ehrlichkeit nur eine ehrliche emotionale Kommunikation ist, dann wird es sehr gefährlich. Dann akzeptieren sie Politiker, die die ganz Zeit lügen."

"Ein Skandal, dass wir nicht wissen, was die Algorithmen machen"

Die Emotionalisierung, die Skandalisierung, dieses Alles-auf-die-Spitze-treiben – ohne Superlative geht heutzutage ja gar nichts mehr! All das hat Einfluss – auf unsere Medien, auf die Werbung, auf unsere Alltagskommunikation. Kaum noch etwas ist ruhig, normal, durchschnittlich realistisch.

Die Gleichung ist simpel: Je emotionaler der Inhalt, desto interessanter erscheint er für die Userinnen und User und desto wertvoller wird er für eine Social-Media-Plattform. Bildrechte: IMAGO/Daniel Scharinger

Die sozialen Medien und Internetdienste um Elon Musk, Mark Zuckerberg und Sundar Pichai machen nicht nur, dass wir unsere Smartphones nicht mehr weglegen können, sie beeinflussen auch, was und wie wir denken: "Für mich ist das ein gigantischer Skandal, dass wir als Bevölkerung oder als demokratische Gesellschaft nicht wissen, was die Algorithmen machen", echauffiert sich Lewandowsky. "Und wenn jetzt ein Unternehmer käme und sagt: 'Hey, ich baue eine Maschine, die manipuliert die gesamte Gesellschaft und ich sage euch nicht wie', da würde doch kein Mensch zustimmen."

Wir sind ganz rasant und naiv in diesen Schlamassel reingerutscht, in dem wir uns jetzt bewegen. Der Schlamassel, der unsere Sucht nach süßen außergewöhnlichen Nachrichten und Geschichten bedient. Denn genau diese Maschinen, die uns manipulieren, von denen der Psychologe Stephan Lewandowsky da spricht, benutzen wir doch schon längst – Sie übrigens auch, genau in diesem Moment.

Die Frage ist nun: Wie kommen aus der Nummer wieder raus? Und: Kommen wir da überhaupt wieder raus?

Dieses Thema im Programm:MDR | Große Fragen in zehn Minuten | 14. Mai 2025 | 12:00 Uhr

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