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Innenhof der Justizvollzugsanstalt in Magdeburg Bildrechte: picture alliance / dpa | Jens Wolf

HaftstrafenGefängnisse: Warum Inhaftierte krimineller werden und was die Gesellschaft davon hat

12. Mai 2025, 12:12 Uhr

Freiheitsentzug soll begangene Verbrechen vergelten, Kriminelle erziehen und künftige Taten abschrecken. Doch gerade Erziehung und Abschreckung leisten Gefängnisse kaum, zeigt Forschung seit Langem.

Gefängnis stumpft Häftlinge ab. Und die monotone Umgebung kostet Insassen möglicherweise Intelligenz. Das ist die These von Johannes Fuß und Susanne Bründl, die am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Gehirne langjährig inhaftierter Straftäter während und nach einer Gefängnisstrafe im Magnetresonanztomografen (MRT) untersuchen. Ergebnisse liegen zwar bislang nicht vor, doch der Verdacht ist begründet: Der Mangel an Reizen, der gleichförmige Alltag, die fehlenden sozialen Kontakte – all diese Bedingungen unterfordern die Gefangenen. Wie bei einem Astronauten, dessen Muskeln in der Schwerelosigkeit kaum gefordert werden, könnten bei Häftlingen kognitive Leistungsfähigkeit durch Unterforderung verloren gehen.

Sind Gefängnisse "Kriminalitätsuniversitäten"?

Wie schädlich das Gefängnis für die Inhaftierten ist, weiß die kriminologische Forschung bereits seit Langem. 1996 veröffentlichte der Norweger Arnulf Kolstadt Ergebnisse einer Befragung von insgesamt 54 verurteilten Straftätern. 36 von Ihnen verbüßten Haftstrafen, die übrigen 18 leisteten gemeinnützige Arbeitsstunden. Dabei zeigte sich: Im Gefängnis verstärkte sich das Gefühl, ein gesellschaftlicher Außenseiter zu sein.

Die Häftlinge wurden tendenziell feindlicher und kritischer gegenüber der Normalgesellschaft. Zwei Drittel bestritten, dass die Haft sie von erneuten Taten nach Entlassung abschrecken würde. Stattdessen glaubten 90 Prozent, dass das Gefängnis wie eine "Kriminalitätsuniversität" wirke, kriminelle Karrieren also eher verfestige als beende. 2009 bestätigten Forscher aus Chicago diesen Zusammenhang: Die Drohung mit Gefängnis habe keinerlei abschreckende Wirkung auf Kriminelle und steigere umgekehrt lediglich die Kriminalität.

Kriminalität: Auch Kurzzeithaft steigert das Rückfallrisiko

Immer wieder untermauern Untersuchungen diesen Zusammenhang: Niederländische Kriminologen um Paul Nieuwbeerta untersuchten, wie sich ehemalige Häftlinge in den drei Jahren nach der Freilassung entwickelten. Klares Ergebnis: wer in Haft saß, wurde im Vergleich mit einer Kontrollgruppe nach Absitzen der Strafe deutlich häufiger wieder kriminell. Daran änderte sich auch nichts, wenn die Forscher durch rigorose statistische Methoden versuchten, einen möglicherweise gesteigerten Hang zu Kriminalität bei den Häftlingen herauszurechnen.

2023 wurde dieses Ergebnis von Hilde Wermink von der Universität Leiden bestätigt. Die Wissenschaftler nutzten das niederländische Strafregister, um Daten aller 2012 verurteilten Täter zu sammeln. Dann verglichen sie die Folgen von entweder einem kurzen Haftaufenthalt oder keinem Freiheitsentzug. Ergebnis: Eine Haft steigerte das Rückfallrisiko im Vergleich zur Kontrollgruppe um 10 Prozent. Am stärksten war dieser Effekt bei Ersttätern.

Ehe schützt vor Kriminalität – Haft verringert aber Heiratschancen

Ebenfalls in den Niederlanden zeigten Forscher anhand der Statistik: Verheiratete Männer werden seltener kriminell. Der Zusammenhang ist so deutlich, dass die kriminologische Forschung annimmt, die Ehe sei eine Institution, die einen überwältigenden Einfluss bei der Prävention von Straftaten habe. Haftstrafen sorgten allerdings bei unverheirateten Männern dafür, dass ihre Chance zu heiraten deutlich abnahm. Und bei verheirateten Männern scheiterte die Ehe häufig während der Haft.

Sozialstunden dagegen führen nach bisheriger Studienlage viel häufiger dazu, dass Straftäter anschließend nicht rückfällig werden, sondern sich in die Gesellschaft eingliedern. In der vom Norweger Kolstadt veröffentlichten Studie hatten sich diejenigen, die Arbeitsstunden verrichteten, dabei weniger von der Gesellschaft entfremdet. Xinyi Zhang von der Universität Leiden bestätigte 2023, dass gemeinnützige Arbeit die bessere Alternative zur Haft sei, die aber den finanziellen und personellen Aufwand für das Justizsystem steigere.

Konservative: Strafen sollen gesellschaftliche Hierarchie und Regeln erhalten

In der gesellschaftlichen Diskussion haben diese Ansätze deshalb oft einen schweren Stand. Gerade konservative Wähler sehen in aufwendigen Maßnahmen eher eine Belohnung der Täter. Neben dem Schutz der Gesellschaft vor den Straftätern – die durch das Einsperren für die Zeitdauer der Haft einfach physisch an neuen Taten gehindert werden – gibt es weitere Anforderungen an Strafen, die im Grunde weniger auf die Häftlinge, denn mehr auf die Normalgesellschaft zielen.

So zeigte die chilenische Kriminologin Monica Gerber 2015: Konservative und andere, politisch rechts eingestellte Menschen, sehen in Bestrafungen den Sinn, moralische Grenzen der Gesellschaft durchzusetzen. Sie erwarten von Mitbürgern Konformität und Anpassung und stellen an das Justizsystem die Anforderung, Verstöße hart zu ahnden. Mildere Urteile dagegen gefährden aus ihrer Sicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Liz Redford von der University of Florida zeigte durch Befragungen wiederum ein transaktionales Verständnis von Strafen. So neigten in der gesellschaftlichen Hierarchie höher stehende Personen dazu, Kriminalität als Angriff auf ebendiese Hierarchie zu begreifen. Demnach sei Kriminalität der Versuch, unter Umgehung der Regeln, durch Diebstahl beim Opfer einen höheren Rang einzunehmen. Genau deshalb solle die Bestrafung aus Sicht der höher stehenden Befragten zu einer gesellschaftlichen Abwertung der Täter führen.

Reformen von Gefängnisstrafen sind möglich – aber aufwendig

Gefängnisstrafen können reformiert werden, das zeigen Forschungen. Gerade in Norwegen gibt es Ansätze, Gefangene deutlich besser zu resozialisieren. So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2020, dass Häftlinge, die vor ihrer Strafe arbeitslos waren, von beruflichen Bildungsmaßnahmen während der Haft profitierten und anschließend deutlich seltener rückfällig wurden. Umgekehrt galt allerdings auch: Für berufstätige Täter wirkte sich die Haft negativ auf die Chancen aus, nach dem Gefängnis wieder Fuß zu fassen im Berufsleben.

In der eingangs erwähnten Studie von Arnulf Kolstadt waren sich alle Befragten darin einig, dass eine Buße für ihre Straftaten völlig gerechtfertigt und notwendig sei. Sozialstunden erschienen dafür allerdings das bessere Mittel zu sein. Kolstadt selbst konstatierte: "Die Inhaftierung ist eine Scheinlösung für das Kriminalitätsproblem."

Dieses Thema im Programm:Das Erste | Gefängnisse abschaffen? - Was besser wirkt als Haft | 12. Mai 2025 | 22:50 Uhr

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