Genetik Gesicht eines Menschen aus DNA-Probe rekonstruieren
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10. Mai 2025, 11:00 Uhr
Chinesische Forscher haben eine Software entwickelt, die anhand einer menschlichen DNA-Probe in 3D zeigt, wie das Gesicht des Menschen in verschiedenen Lebensaltern aussieht. So eine Technologie eröffnet bei historischer Forschung und moderner Verbrechensbekämpfung neue Möglichkeiten, die verlockend, aber auch gefährlich sind, sagt Dirk Labudde, Professor für digitale Forensik an der Hochschule Mittweida.
"Gib mir ein paar Zellen von dir, und ich sage dir, wie du aussiehst." Dieses Szenario wird immer realistischer. Eine chinesische Forschungsgruppe hat eine Software entwickelt und diese zuerst mit DNA-Proben und echten 3D-Daten von menschlichen Gesichtern gefüttert. Dadurch lernte die Software namens Difface den Zusammenhang zwischen DNA und Gesichtszügen und konnte schließlich selbstständig 3D-Gesichter aus DNA-Proben generieren, gemäß den Forschern mit einer sehr hohen Genauigkeit.
Difface nutzt Unterschiede in einzelnen DNA-Nukleotiden (Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs), um 3D-Punktwolken zu generieren, die die äußere Oberfläche eines Gesichts darstellen. Das Modell wurde mit einem Datensatz von 9.674 Han-chinesischen Individuen trainiert, bei denen sowohl DNA-Daten als auch entsprechende 3D-Gesichtsbilder vorlagen.
Durch die Integration zusätzlicher Informationen wie Alter, Geschlecht und Body-Mass-Index konnte die Genauigkeit der rekonstruierten Gesichter weiter verbessert werden. Bemerkenswert ist, dass Difface laut Studie in der Lage ist, das Aussehen einer Person in verschiedenen Altersstufen zu projizieren, basierend allein auf deren DNA-Daten.
In der Studie wird ausdrücklich erwähnt, dass das Modell bislang ausschließlich mit Daten von Han-chinesischen Individuen (die etwa 92 Prozent der chinesischen Einwohner ausmachen) trainiert wurde und daher in seiner aktuellen Form nicht ohne Weiteres auf andere ethnische Gruppen übertragbar ist.
Links / Studien
Mingqi Jiao et al. (2025): "De Novo Reconstruction of 3D Human Facial Images from DNA Sequence", Advanced Science
Aber es dürfte in der internationalen Forschung wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis das für alle Ethnien funktioniert. Und das wirft natürlich Fragen auf. Zum Beispiel, ob so eine Technologie dann in der Forensik eigesetzt werden kann und sollte.
Erweiterte DNA-Analytik in Deutschland
Dirk Labudde ist Forensik-Professor an der Hochschule Mittweida. Natürlich gebe es Einsatzzwecke, wo das sehr nützlich ist, sagt er, zum Beispiel wenn das Opfer eines Tötungsdelikts nicht mehr identifiziert werden kann: "Ich finde eine skelettierte Leiche, und ich möchte sozusagen als letzte Möglichkeit ein Gesicht wiederherstellen. Da hilft uns die DNA-Phänotypisierung effektiv weiter."
Andererseits kann man sich auf diese Art nicht nur Opfern, sondern auch möglichen Tätern nähern, wenn DNA vorhanden ist. Seit 2019 dürfen in Deutschland äußerliche Merkmale wie Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie das ungefähre Alter einer unbekannten Person aus der DNA ermittelt werden, wenn es verhältnismäßig ist und wenn alle anderen Methoden zur Identifizierung gescheitert sind.
Nicht alles, was in der DNA steckt, darf ermittelt werden
Es gibt allerdings Grenzen. Nicht alles, was man anhand der DNA ermitteln könnte, ist in Deutschland erlaubt. Dirk Labudde betrachtet das mit einem weinenden und einem lachenden Auge, wie er sagt. "Auf der einen Seite blutet einem das Herz, weil da noch ganz viele andere Sachen draufstehen auf der DNA, zumindest statistisch." Zum Beispiel eben die Gesichtsstrukturen. "Da wäre es natürlich für den ein oder anderen Fall super, wenn man das hätte", sagt Labudde, "aber ich verstehe und finde auch gut, dass wir es geregelt haben."
Besonders mit Blick auf die ethnische Herkunft, die man aus der DNA ebenfalls abschätzen kann. Dabei gehe es dann auch um Diskriminierung. "Wir würden also dann sagen, wir suchen eine Person mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen, dunkler Hautfarbe", nennt Labudde ein mögliches Beispiel. "Damit würden wir eine ganze Gruppe von Menschen unter Generalverdacht stellen." Und dann sei immer die Frage, was in der Gesellschaft passiert. "Ich denke, wir haben eine gute Lösung für Deutschland gefunden", meint der Forensiker mit Blick auf die gesteckten Grenzen.
Historische Forschung mit DNA macht Freude
Unverfänglicher, deshalb freudvoller und extrem spannend sind erweiterte DNA-Analysen, wenn sie sich auf längst tote historische Personen beziehen. "Ja, klar, ist das spannend", sagt Dirk Labudde und erinnert sich an drei Beispiele aus seiner Arbeit. "Einmal haben wir den ältesten Fund aus Österreich rekonstruiert. Wir hatten den Schädel und haben dann so eine klassische Weichteil-Gesichtsrekonstruktion gemacht. Das Gleiche haben wir in Leipzig für die Paulinerkirche gemacht. Und dann auch mal für Australien, das waren ein Junge und ein Mädchen, die waren Perlentaucher."
Wir haben unterm Strich ein bisschen Pipi in den Augen.
Man sei durch solche Rekonstruktionen immer noch ein bisschen näher dran an historischen Artefakten wie gefundenen Schädeln oder Knochen, sagt der Forensiker. "Das ist schon spektakulär. Und wir haben unterm Strich ein bisschen Pipi in den Augen, wenn du den Toten wieder ein Gesicht gibst."
DNA-Forschung: Fluch oder Segen?
2001 wurde das erste nahezu vollständige menschliche Genom entschlüsselt. Seitdem ist in der DNA-Forschung viel passiert, die Fortschritte sind immens. Und nicht alles macht vor Freude "Pipi in den Augen". Auch in seiner Spezialdisziplin, der Forensik lauern Gefahren, wie Dirk Labudde sagt. Er hat zum Beispiel die Befürchtung, dass es bald Täter gibt, die Spuren legen, die zu keinem echten Menschen gehören und deshalb ins Nichts führen. Synthetisierte DNA sei heute schon herstellbar. "Und die streuen wir jetzt auf verschiedene Tatorte. Dann finden sie mal diese Person, die nicht existent ist."
Und dann gibt es noch das Thema "Biomarker". In der DNA stecken viele Informationen, aus denen man Wahrscheinlichkeiten für Krankheiten ableiten kann. Wird das in Zukunft Teil von ärztlichen Untersuchungen sein? "Ich stelle jetzt wirklich mal die Frage: Möchte jeder wissen, dass er ein Risiko trägt für diese oder jene Krankheit? Ja, und was macht er dann mit dem Ergebnis, wenn er es weiß", fragt Dirk Labudde.
Wir alle müssten lernen, dass die Daten in der DNA unsere persönlichen sind. Wer diese kennen und weiterverwenden darf, müsse erst noch ausgehandelt werden, meint der Forscher aus Mittweida. "Da müssen wir uns als Bürger und als Gesellschaft Gedanken drüber machen." Es müsse eine ethische und moralische Diskussion über DNA-Daten und ihre Verwendung geben, findet Labudde, "und dann eine praktikable Umsetzung."
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. Mai 2025 | 11:00 Uhr