Stichwahl Wie stark rechts wählt Rumänien bei der Präsidentschaftswahl?
Hauptinhalt
17. Mai 2025, 13:51 Uhr
Am Sonntag wird in Rumänien per Stichwahl der neue Präsident bestimmt. Der erste Versuch war im Dezember annulliert worden, nachdem es Hinweise auf Wahleinmischung gab. Nach der Wahlwiederholung Anfang Mai geht es in der zweiten Abstimmungsrunde nun darum, wer künftig das höchste Amt im Land innehat: Ein EU-skeptischer Rechtsradikaler oder ein Konservativer, der bei den Wählern mit seinem Bekenntnis für Europa wirbt?
Inhalt des Artikels:
- Facebook-Live-Übertragungen statt Parlamentsarbeit
- Präsidentschaftskandidat Simion steht für Anti-EU-Kurs
- In Ukraine und Republik Moldau mit Einreiseverbot belegt
- Vom Krawall auf Fußballtribünen gelernt
- Zweiter Anlauf bei rumänischer Präsidentschaftswahl
- Sozialer Wohnungsbau war nur Wahl-Gag
- Kontrahent Nicusor Dan wirbt mit Bekenntnis zur EU
- Kein Fürsprecher für LGBT-Gemeinschaft
Ob er als Staatschef sein Handy auch bei einem EU-Gipfel zücken würde, um das Treffen live auf Facebook zu übertragen, wird der Präsidentschaftskandidat George Simion bei einem Auftritt im rumänischen Fernsehsender Pro TV gefragt. Er überlegt nicht lange und antwortet: "Wenn es den rumänischen Interessen dient." Der Parteichef der extrem rechten "Allianz für die Vereinigung der Rumänen" (AUR) geht am Sonntag als Favorit in die Stichwahl um das Präsidentenamt in Rumänien.
Facebook-Live-Übertragungen statt Parlamentsarbeit
Der rumänische Abgeordnete und Präsidentschaftskandidat George Simion ist lautstark - vor allem in den sozialen Netzwerken. Fast täglich meldet sich der 38-Jährige live auf Facebook, stürmt mit seinem Handy beispielsweise in nicht-öffentliche Sitzungen von Parlamentskommissionen, um "dem Wähler zeigen, was da eigentlich passiert". Er filmt sich selbst dabei, wie er andere Partei-Abgeordnete beschimpft oder hin und wieder handgreiflich wird. Sanktioniert wurde er deshalb vom Parlament bisher nicht.
Als sein früherer Parteifreund und Ex-Präsidentschaftskandidat Calin Georgescu im März wegen Falschangaben von der Wahlwiederholung ausgeschlossen wurde, rief Simion per Facebook-Live dazu auf, die Mitglieder der rumänischen Wahlbehörde BEC "öffentlich zu häuten, die die Demokratie verhöhnten". Im Anschluss kam es vor dem Sitz der Behörde in Bukarest zu schweren Zusammenstößen zwischen AUR-Anhängern und Sicherheitskräften. Die Generalstaatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, sie wirft Simion Anstiftung zur Gewalt vor.
Präsidentschaftskandidat Simion steht für Anti-EU-Kurs
Gewinnt der AUR-Parteichef am Sonntag die Abstimmung, hätte Rumänien erstmals einen Staatschef, der ein begeisterter Anhänger von US-Präsident Donald Trump ist und für einen harten Anti-EU-Kurs und Anti-Nato-Kurs steht. Bei einem Auftritt mit ultrarechten Parteien aus dem EU-Parlament nannte er Ende 2023 Europa "ein Inferno". George Simion steht bei diesem Auftritt auf der Bühne, ballt bei seiner Aufzählung die Faust: „Illegale Migranten, Deindustrialisierung, Zerstörung der nationalen Identität, Absturz des Christentums. Immer weniger Mutter, Vater, Weihnachten.“
Jetzt kurz vor der Wahl gibt er sich gemäßigter. Er erwäge keinesfalls einen EU-Austritt seines Landes, versprach er mehrfach in Interviews, ihm gehe es vielmehr um eine Union der "souveränen Nationen", wie sie auch die EU-skeptischen Regierungen von Robert Fico in der Slowakei und Viktor Orban in Ungarn propagieren. Alle drei könnten künftig gemeinsam Entscheidungen in Brüssel torpedieren, die nur einstimmig verabschiedet werden können - beispielsweise Sanktionen gegen Russland. Für den Fall eines Wahlsieges kündigte Simion bereits an, die Militärhilfe seines Landes für die kriegsgebeutelte Ukraine aussetzen zu wollen. Dem Kreml in Moskau dürfte das gefallen.
Enge Verbindungen nach Polen pflegt Simion auch bereits - diese Woche war er gerade auf Einladung des PiS-Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki zu einem Wahlkampfauftritt in Warschau.
In Ukraine und Republik Moldau mit Einreiseverbot belegt
In Rumänien gibt der Präsident vor allem den Ton in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik an. Er ist oberster Befehlshaber der Armee, er vertritt das Land auf dem Brüsseler und internationalem Parkett. Seine erste Auslandsreise unternimmt ein frisch gewählter Staatschef für gewöhnlich zum Nachbarn in die Republik Moldau. Früher gehörte das Gebiet teils zu Rumänien, Ende des Zweiten Weltkriegs fiel es an die Sowjetunion, 1991 erklärte sich die einstige Sowjetrepublik für unabhängig.
Doch der studierte Historiker George Simion hat für das Nachbarland eine ganz andere Vision. Seit über einem Jahrzehnt setzt er sich - zunächst als Straßenaktivist, nunmehr als Politiker - für ein wiedervereinigtes Groß-Rumänien ein, zu dem nicht nur die Republik Moldau, sondern auch Teile der Ukraine gehören würden. Die 2019 von ihm mitgegründete Partei spielt mit ihrem Namen "Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR)" auf die Gebietsansprüche bei den Nachbarn an. Ein revisionistischer Diskurs, der der Rhetorik von Kreml-Chef Wladimir Putin ähnelt. Die Regierungen der Ukraine und der Republik Moldau haben deshalb George Simion mit einem Einreiseverbot belegt. Was daraus wird, sollte Simion am Sonntag gewinnen, ist derzeit offen.
Vom Krawall auf Fußballtribünen gelernt
Keine Partei hat in den vergangenen Jahren so stark an Zustimmung gewonnen, wie die extrem rechte AUR-Partei. 2020 konnte sie mit neun Prozent der Stimmen erstmals ins Parlament einziehen, bei der Wahl im vorigen Dezember verdoppelte sie die Zahl ihrer Mandate. Die derzeit stärkste Oppositionspartei im Parlament ist ein Sammelsurium von Protestbewegungen - darunter militante Anhänger der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, die das Konzept der traditionellen Familie in der Verfassung verankern wollen, hinzu kommen Impfgegner, aber auch zahlreiche Rechtsradikale, die unverhohlen Antisemitismus schüren oder das Ausmaß des rumänischen Holocaust herunterspielen.
Parteichef Simion ist zudem mit der gewaltbereiten Fußballszene in Rumänien vernetzt, vor über 20 Jahren gehörte er selbst zu zwei Ultra-Gruppen, er war mehrfach in Zusammenstöße mit Sicherheitskräften in den Fußballstadien verwickelt. Er habe von dieser Welt, sagte er in einem Interview, "mehr gelernt als in der Schule". Inzwischen sorgt er nicht mehr auf Fußballtribünen für Krawall, sondern auf der politischen Bühne.
Zweiter Anlauf bei rumänischer Präsidentschaftswahl
Schon bei der Präsidentschaftswahl im November ging AUR-Chef Simion mit ins Rennen, landete aber nur auf dem vierten Platz. Sehr zum Unmut seiner eigenen Partei, die bereits öffentlich über seinen Rücktritt spekulierte. Dass die Wahl wenig später annulliert wurde, hat Simions politische Karriere vorerst gerettet. Am 4. Mai holte er – im wiederholt ausgetragenen ersten Wahlgang – die Stimmen von gut 3,9 Millionen Rumänen, kam auf fast 41 Prozent und lag weit vor allen anderen Mitbewerbern.
Simions Wahlsieg war wenig überraschend, auch, weil er zusätzlich auf die Anhänger des extrem rechten Ex-Präsidentschaftskandidaten Calin Georgescu setzen konnte, den die Wahlbehörde wegen Falschangaben von der Abstimmung ausgeschlossen hatte. Kandidat Simion will ihn im Falle eines Wahlsieges zu seinem Premier machen. Ausgeschlossen ist das nicht. Über die Wahlturbulenzen zerbrach zuletzt die rumänische Regierungskoalition aus PSD, PNL und UDMR. Nach der Wahl am Sonntag will sich das Bündnis auflösen. Dann muss der frisch gewählte Präsident des Landes einen Premier ernennen.
Sozialer Wohnungsbau war nur Wahl-Gag
Dass ein Gutteil der Wähler am Sonntag erneut für Simion stimmen wird, liegt auch daran, dass er sich bei ihnen blicken lässt. Er spricht die große soziale Ungleichheit im Land an, er fährt mit Spendenaktionen oder einer Ärztekarawane in ländliche Gebiete, wo schon lange oder noch nie ein Politiker aus Bukarest war und wo sich der Staat längst aus seiner Verantwortung gezogen hat. So gibt es in vielen Dörfer keinen Hausarzt mehr.
Bei den Wählern in den Großstädten punktete George Simion zuletzt mit dem Versprechen, Wohnungen bauen zu lassen, die deutlich unter dem marktüblichen Kaufpreis liegen sollen. Im vorigen Jahr unterschrieb er eigens entworfene Vorverträge, Menschen standen Schlange vor den AUR-Wahlkampfbüros, um an eine solche noch nicht gebaute Wohnung zu gelangen. Doch vorige Woche erklärte der Präsidentschaftskandidat kurzerhand, dass alles nur ein Marketing-Gag gewesen sei. Vermutlich wird er dafür bei der Stichwahl am Sonntag noch nicht einmal abgestraft. Simion ist bekannt für sein verbales Doppelspiel, mal gibt er sich moderat, mal feindselig. Vieles, was er sagt, will er später, "gar nicht so gemeint haben". Er sieht sich selbst als "Systemsprenger", seine Kritiker halten ihn für einen Unruhestifter. Als Präsident hätte er die Aufgabe, als besonnener Vermittler zwischen Parlament, Regierung und Volk zu agieren.
Kontrahent Nicusor Dan wirbt mit Bekenntnis zur EU
Simions Kontrahent in der Stichwahl, der parteilose Bukarester Oberbürgermeister Nicusor Dan, ist nicht chancenlos. Der konservative Zweitplatzierte kam im ersten Wahlgang zwar nur auf halb so viel Stimmen wie George Simion. Ob er ihn einholen kann, ist fraglich, aber nicht unmöglich. Der 55-jährige Kandidat wirbt damit, dass Rumänien mit ihm einen bekennenden pro-europäischen Präsidenten hätte. Auch verspricht Nicusor Dan im Falle eines Wahlsieges politische und wirtschaftliche Stabilität. Er spielt damit auf den jüngsten Kursrutsch an der rumänischen Börse an, als der rechtsradikale Simion den ersten Wahlgang gewann. Die rumänische Währung Leu gab deutlich nach.
Mathematiker, Stadtaktivist, Lokalpolitiker
Im ersten Wahlgang konnte Nicusor Dan vor allem beim Mittelstand in den Großstädten wie Bukarest, Cluj und Temeswar punkten. Der studierte Mathematiker, der fließend Französisch spricht, erwarb Ende der 1990er-Jahre in Paris den Doktortitel. Nach seiner Rückkehr bekam er einen Job in der Rumänischen Akademie, dem höchsten Wissenschaftsforum des Landes. Für Schlagzeilen in der Presse sorgte Dan aber erst mit seinem Verein "Rettet Bukarest" und seinem unermüdlichen Kampf gegen den schonungslosen Umbau der Hauptstadt: Hunderte historische Bauten und öffentliche Grünflächen verschwanden oft über Nacht, um Platz für Büro-Neubauten zu schaffen. Dan zog mehrfach gegen die Stadtverwaltung vor Gericht, scheute sich nicht vor jahrelangen Prozessen, konnte Bausünden damit kippen.
Kein Fürsprecher für LGBT-Gemeinschaft
Was als Vereinsarbeit begann, mündete 2016 in der Gründung der Protestpartei "Union rettet Rumänien" (USR), mit der Nicusor Dan noch im selben Jahr als Abgeordneter ins rumänische Parlament einzog. Vier Jahre später verließ er das Bündnis wieder - im Streit um die Rechte der LGBT-Gemeinschaft in Rumänien; USR war Nicusor Dan zu progressiv. Der konservative Präsidentschaftskandidat wehrt sich seit Jahren, bei diesem Thema eine politische Vorreiterrolle einzunehmen. Entscheidungen über eine Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft in Rumänien müssten "der Gesellschaft überlassen werden", sagte er im Wahlkampf. Schwer vorstellbar, dass im orthodox geprägten Land sich hier in naher Zukunft etwas bewegen wird.
Doch welche Chancen hat der parteilose Lokalpolitiker am Wahlsonntag wirklich, den seine Arbeitskollegen im Rathaus als "knochentrockenen Technokraten" beschreiben, der kein "Teamplayer" sei? Um einen Sieg einzufahren, muss der Mathematiker mehrere Millionen Wähler für sich mobilisieren - vor allem auch jene, die dem ersten Wahlgang ferngeblieben sind. Nicusor Dan erklärte zuletzt, dass er bei einer besonders hohen Wahlbeteiligung durchaus das Blatt noch wenden könnte. Ob seine Rechnung aufgeht, wird sich am Wahlabend zeigen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 17. Mai 2025 | 12:13 Uhr