
Polen: Warum die Präsidentschaftswahl so wichtig ist
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16. Mai 2025, 05:00 Uhr
Am 18. Mai wählt Polen sein Staatsoberhaupt. Amtsinhaber Andrzej Duda darf nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten, elf Kandidaten und zwei Kandidatinnen bewerben sich um seine Nachfolge. Die Wahl wird den Kurs bestimmen, den das Land in den nächsten Jahren nehmen wird – auch in der Außenpolitik. Wir stellen die aussichtsreichsten Bewerber vor.
Das Amt des polnischen Präsidenten bringt eine Menge Macht mit sich: Er hat einigen Einfluss auf die Außenpolitik, er ernennt den Ministerpräsidenten und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und er verfügt auch über eine wahre "Wunderwaffe" im Gesetzgebungsverfahren, dank der er beinahe jedes vom polnischen Parlament beschlossene Gesetz torpedieren kann: Das Vetorecht.
Deswegen ist es für jede polnische Regierung wichtig, den Präsidenten auf ihrer Seite zu haben. Derzeit ist das nicht der Fall: Während Amtsinhaber Andrzej Duda in acht Jahren PiS-Regierung lediglich neun Mal bei Gesetzesinitiativen intervenierte, sprach der PiS-nahe Präsident seit dem Amtsantritt der Tusk-Regierung vor anderthalb Jahren bereits sechs Mal ein Veto aus.
Diesmal stehen für das begehrte Amt 13 Kandidierende zur Wahl, darunter zwei Frauen. Es ist eine recht bunte Mischung von Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen und Ansichten. Nur wenige von ihnen kommen aus dem linksliberalen Lager, die Mehrheit vertritt konservative oder extrem rechte Positionen und Parteien. Die aussichtsreichsten Kandidaten kommen jedoch wie gewohnt von der Bürgerplattform (PO) von Ministerpräsident Tusk und der oppositionellen PiS, die seit 20 Jahren im Wechsel Polen regieren.
Der Oberbürgermeister von Warschau und ein unbekannter Historiker
Für die regierende Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) ist der Oberbürgermeister von Warschau Rafał Trzaskowski im Rennen, der in der Politik schon seit langem bekannt ist und verschiedene Ämter im Sejm und Europaparlament innehatte. Zudem ist er stellvertretender Vorsitzender der Bürgerplattform (PO). Er gilt als einer der Parteilinken, obwohl er sich selbst als Politiker der Mitte positioniert. Er präsentiert sich als reform- und zukunftsorientiert, steht für Chancengleichheit, Toleranz und starke Beziehungen zu EU. Er war bereits im Jahr 2020 Präsidentschaftskandidat und hatte mit fast zehn Millionen Stimmen nur knapp gegen den amtierenden Präsidenten Andrzej Duda verloren. Heute kann er laut einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstitutes IBRIS 32,6 Prozent der Befragten hinter sich versammeln und ist damit der Favorit.
PiS-Chef Jarosław Kaczyński hatte nach wochenlangem Nachdenken einen dem breiteren Publikum unbekannten Historiker aus dem Hut gezaubert: Karol Nawrocki leitet seit 2021 das Institut für Nationales Gedenken (IPN). Das ist für die staatlichen Archive zuständig, erforscht die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Ära – und bestimmt so die Geschichtspolitik des Landes mit.
Politisch ist er bisher kaum in Erscheinung getreten und wurde als unabhängiger "Bürger-Kandidat" vorgestellt. Offensichtlich entsprach er aber der vom PiS-Vorsitzenden verkündeten Vorstellung eines Präsidenten: "Der Kandidat für das höchste Staatsamt sollte ein Mann sein. Jung, groß, imposant, mit Familie und Fremdsprachenkenntnissen", sagte Kaczyński dem katholischen Sender Radio Maryja. Nawrocki ist streng katholisch und sieht sich als Vertreter des patriotischen Lagers, sein ideologisches Weltbild deckt sich mit dem der PiS: Er lehnt den EU-Migrations- und Asylpakt ab und fordert dessen Aufkündigung durch Polen, genauso wie den European Green Deal, den er "Ökowahnsinn" nennt.
Seine Nominierung war zwar für viele eine Überraschung, doch es steckt wohl eine rationale Begründung dahinter: Wäre ein etabliertes Regierungs- oder Parteimitglied aus der Regierungszeit von 2015 bis 2023 ernannt worden, könnten die Korruptionsskandale dieser Zeit zum Hauptthema des Wahlkampfs werden. Kaczyńskis Entscheidung könnte sich aber dennoch als Fehler erweisen. Denn im Wahlkampf kam heraus, dass die vermeintlich weiße Weste seines "volksnahen" Kandidaten einige hässliche Flecken hat. So war Nawrocki als junger Mann Boxer und Türsteher in seiner Heimatstadt Danzig – und hat aus dieser Zeit noch gute Kontakte ins Rotlicht- und Neonazimilieu und zu Kriminellen. Zudem wird ihm vorgeworfen, einen älteren Mann um eine Wohnung betrogen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat bereits ein Prüfverfahren zu diesem Fall eingeleitet. Nawrocki genießt IBRIS zufolge die Unterstützung von 26,4 Prozent der Wähler, was deutlich unter den Umfragen der PiS selbst liegt, die seit langem stabil bei etwa 30 Prozent steht.
Das Zünglein an der Waage
Sollte im ersten Wahlgang keiner der beiden Spitzenkandidaten 50 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen können, wird am 1. Juni eine Stichwahl stattfinden. Und hier kommt der in Umfragen drittplatzierte Kandidat samt seiner Wählerschaft ins Spiel, die derzeit etwa 10,8 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht: Sławomir Mentzen, der Co-Vorsitzende des rechtsextremen Bündnisses Konfederacja (Konföderation). Mentzen wurde durch seine Parole aus dem Jahr 2019 bekannt: "Wir wollen keine Juden, Schwule, Abtreibung, Steuern und EU." Inzwischen distanziert er sich offiziell von dieser Aussage. Seine Ansichten scheinen sich aber trotz dieses Lippenbekenntnisses nicht geändert zu haben. Heute kommen außerdem noch deutlich antiukrainische Töne dazu.
Der 38-Jährige betreibt eine Steuerberater- und Rechtsanwaltskanzlei und hat seine eigene Biermarke. Wirtschaftlich setzt er auf einen schlanken Staat und niedrige Steuern. Seine Lebensvision ist einfach: "Ein Haus, zwei Autos und ein Grill". Mentzen ist vor allem in den sozialen Netzwerken erfolgreich und hat sich inzwischen zu einem TikTok-Star entwickelt.
Mit seinen Ansichten spricht er erstaunlich viele junge Menschen an, darunter viele Erstwählerinnen und Erstwähler, 63 Prozent seines potenziellen Wählerlagers sind zwischen 18 und 34 Jahre alt. Noch vor kurzer Zeit war er laut Umfragen stark im Aufwind und schien sogar Nawrocki zu überholen. Erst als er die Einführung von Studiengebühren forderte und sich zu der Behauptung verstieg, eine Schwangerschaft in Folge einer Vergewaltigung sei nichts weiter als eine "Unannehmlichkeit", verlor er deutlich an Zustimmung.
Wie sich seine Anhänger in Falle einer Stichwahl positionieren, ist unklar – gerade das Verhalten junger Wählergruppen ist schwer zu prognostizieren. "Die Wählerschaft der Konföderation, deren Kandidat eher nicht in die zweite Runde kommt, wird bei der Stichwahl eine wichtige Rolle spielen und über den Sieg entscheiden. Sie wird sich wahrscheinlich in drei Gruppen aufteilen. Einige werden den KO-Kandidaten unterstützen, andere den der PiS und die übrigen werden wahrscheinlich zu Hause bleiben” - vermutet Renata Mieńkowska-Norkiene, Politologin und Soziologin von der Universität Warschau.
Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel
Die Lage in Polen ist nach wie vor angespannt und das Land stark polarisiert. Donald Tusk trat nach den siegreichen Parlamentswahlen vom Oktober 2023 mit einem klaren Reformprogramm an. Er wollte das Justizwesen sanieren, das Gesundheitssystem verbessern, das Abtreibungsrecht liberalisieren und die Korruptionsvorwürfe gegen die PiS-Regierung aufklären. Doch er hat bis jetzt auf keinem dieser Gebiete Erfolge zu verzeichnen, was zu einem großen Frust im liberalen Lager führt.
Der angeschlagene Premier braucht nun dringend den Sieg seines Kandidaten um die Handlungsfähigkeit der Regierung zu verbessern und die anhaltende Stagnation zu überwinden. Gelingt das nicht, könnte die Koalition sogar zu Bruch gehen. "Diese Wahl ist noch wichtiger als die im Oktober 2023, denn sie wird darüber entscheiden, ob die angekündigten Veränderungen bestätigt und umgesetzt werden und ob Polen auf dem Weg der Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bleibt oder wieder auf den Weg des Populismus abweicht. Eine populistisch-nationalistische Koalition – wie etwa die der PiS mit der Konföderation – wäre für Polen äußerst gefährlich", meint Politologin Mieńkowska-Norkiene.
Doch auch für PiS-Chef Kaczyński wird der Wahlausgang ernsthafte Folgen haben. Ein Sieg von Karol Nawrocki könnte die Rückkehr der PiS an die Macht bedeuten. Seine Niederlage aber würde die internen Probleme der Partei verschärfen. "Wenn Karol Nawrocki verliert, dann wird Kaczyński den Status des genialen Strategen in seiner Partei verlieren, weil er auf das falsche Pferd gesetzt hat. Schon jetzt scheint sein politisches Gespür abgestumpft zu sein und es wird ihm nachgesagt, seine Botschaft an die Wähler falsch zu formulieren. Die Partei könnte auseinanderfallen oder er muss das Ruder an Jüngere übergeben, die schon seit langem darauf warten", so Mieńkowska-Norkiene. Somit wird der Ausgang der Wahl den Kurs bestimmen, den Polen in den nächsten Jahren nehmen wird.
MDR (tvm)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 17. Mai 2025 | 07:15 Uhr