Kreis Nordhausen Lebensretter auf dünnem Eis - wie ein Thüringer zum Alltagshelden wurde

10. Mai 2025, 09:50 Uhr

Am 6. März 2025 brach auf dem zugefrorenen Eibsee das Eis - und drei indische Studenten stürzten ins eiskalte Wasser. Nur dank des schnellen Handelns von Sven Bügel aus Harzungen (Landkreis Nordhausen) und Christian Fischl aus Ohlstadt (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) überlebten sie. Bei einem Treffen mit MDR THÜRINGEN-Reporter Benjamin Voßler schildert der gebürtige Geraer, wie die Rettung ablief.

Wir treffen uns am Schlossteich in Rottleberode. Ich sehe Sven Bügel schon von Weitem am Ufer spazieren. Mit Kamera und langem Objektiv fotografiert er Enten und Schwäne auf dem Schlossteich. Er ist Hobbyfotograf, das hat ihn auch im März an den Eibsee in Bayern geführt. Er gönnt sich eine Auszeit: Urlaub an der Zugspitze, Wandern und Naturfotos schießen. An dem Tag, als sich das Unglück ereignet, steht er auf dem zugefrorenen See. Es tummeln sich einige Leute auf dem Eis und nutzen es vergnügt als Rutschbahn. Auch eine Gruppe von Studenten aus München ist da, die über das Eis schlittern. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung, wunderschönes Wetter - "alles super", erzählt Bügel.

Plötzlich bricht einer ein, noch einer und noch einer...

Die Gruppe von Studenten rutscht immer weiter auf den See. Sie nehmen immer wieder Anlauf und schlittern zehn bis 15 Meter auf dem Eis und amüsieren sich dabei. Am Ufer ist das Eis noch dick, aber an diesem Tag ist das Wetter frühlingshaft: 16 Grad. Die oberste Eisschicht schmilzt bereits. Sven Bügel denkt sich schon: Na mal sehen, wie lange das gut geht. Noch hört er die Leute lachen. Doch plötzlich bricht einer ein, noch einer und noch einer. Und auf einmal sind zehn Personen verschwunden. In der Seemitte klafft ein großes dunkles Loch.

Ich hörte plötzlich nur noch Schreie - da wusste ich, dass es ernst war.

Sven Bügel

Sven Bügel zögert nicht lange. Im Bruchteil einer Sekunde entscheidet er sich, zu Hilfe zu eilen. Er wirft seine Kameraausrüstung ab und hastet in Richtung der Eingebrochenen. Er bemerkt, dass die Eisschollen unter seinen Füßen wanken. Er versucht, mit den Menschen im Wasser durch Zurufe Kontakt aufzunehmen. Die eingebrochenen Menschen versuchen, sich am Rand der Eisschicht wieder hochzuziehen. Das funktioniert jedoch nicht. Die Eisränder brechen immer wieder ab. Sven Bügel versucht, den Menschen im Wasser zu signalisieren, dass sie sich beruhigen sollen. Sie beachten ihn nicht, sind in Panik.

Sven Bügel
Sven Bügel wurde im März zum Lebensretter. Bildrechte: MDR/Benjamin Voßler

Mit einem Boot aufs Eis

Gleichzeitig eilt ein weiteren Retter hinzu. Von der Terrasse des Cafés am Ufer hat er den Unfall beobachtet. Christian Fischl war gerade beim Essen mit seiner Frau. Er weist seine Frau an, den Rettungsdienst zu rufen, dann rennt auch er los. Am Ufer sieht er ein Metallboot stehen, er bindet es los. Vom Ufer aus schiebt er es auf das Eis. Sven Bügel eilt zu ihm. Zusammen schieben die beiden das Boot bis zur Einbruchsstelle: 200 bis 300 Meter.

Dort angekommen, haben sich die meisten schon aus dem Wasser retten können. Drei sind aber immer noch im Wasser, einer von ihnen bewusstlos: Sonu. Er ist selbst ins Wasser gesprungen, um einer anderen Person herauszuhelfen. Doch seine Daunenjacke saugt sich sofort mit dem drei Grad kalten Wasser voll und wird zum Anker. Sein Körper fährt in einen Schockzustand, er wird bewusstlos. Bewegungslos treibt er an der Wasseroberfläche.

Wiederbelebung im Boot

Sven Bügel und Christian Fischl ziehen zunächst die beiden anderen ins Boot, danach Sonu. An Bord herrscht Panik. Sven Bügel bleibt jedoch geistesgegenwärtig und gibt Anweisungen. Seine Erste-Hilfe-Ausbildung kommt ihm sofort in Erinnerung. Zunächst befreien sie Sonu von seiner schweren, kalten Jacke. Christian Fischl beginnt die Wiederbelebung mit einer Herzdruckmassage, Sven Bügel übernimmt die Mund-zu-Mund-Beatmung. Sonu spuckt ab und zu Seewasser aus. Seine Lunge ist voll damit. Da kommt Sven Bügel auf eine Idee: Er hält Sonu kopfüber an den Beinen und Christian Fischl soll seinen Hals überstrecken, damit das Wasser herausfließen kann. Es klappt!

"Wie oft soll man die Herzdruckmassage wiederholen?", fragen sie sich. Sie machen weiter, während über ihnen die Rettungshelikopter kreisen. Die finden keinen Platz zum Landen. Der Rettungswagen kommt schnell. Aber es dauert 20 Minuten, bis sie an der Unfallstelle in der Mitte des Sees ankommen. Mit einem Rettungsboot gelangen die Sanitäter schließlich zu ihnen. Dann wird das Boot mit einer Seilwinde zurück ans Ufer gezogen. Sonu kommt sofort in den Rettungswagen und nach Garmisch-Partenkirchen ins Krankenhaus. Nach einem kurzen Check kommen auch Sven Bügel und Christian Fischl in das Krankenhaus. Sonu liegt eine Etage über ihnen und kämpft an der Beatmungsmaschine weiter um sein Leben.

30 Minuten Wiederbelebung ... es war eine absolut körperliche Anstrengung. Unglaublich, dass ich das geschafft habe.

Sven Bügel

Kontakt zwischen Retter und Gerettetem hält an

Sven Bügel macht sich Gedanken. Was, wenn es nicht gereicht hat? Was, wenn es Sonu nicht schafft? Was, wenn er 30 Minuten lang einen Toten Mund zu Mund beatmet hat? Nach ein paar Stunden kommt Sonu wieder zu sich. Er kann sich an nichts erinnern. Sven Bügel und Christian Fischl atmen auf. Sonus Freunde erzählen ihm, was passiert ist.

Der junge Mann aus Indien studiert an der Universität in München. Seine Kommilitonen und er wollten nur einen Nachmittag bei perfektem Wetter etwas Spaß haben. Sie haben vorher noch nie einen zugefrorenen See aus nächster Nähe gesehen. Er hätte nie gedacht, dass sich die Situation auf dem Eis so schnell ändern kann. Bis heute hält er mit seinem Retter aus Thüringen Kontakt.

Jeder kann und sollte helfen. Zu viele schauen in Notsituationen weg.

Sven Bügel

MDR (dr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 23. März 2025 | 19:00 Uhr

3 Kommentare

klaus.kleiner77 Gestern

@Maria A.
Sie hätten die ins Eis eingebrochenen Menschen nicht gerettet, nur weil sie vielleicht Vorschriften missachtet haben? Was die Gesundheitskosten betrifft gilt in Deutschland immer noch das Solidarprinzip und das ist gut so! Oder was ist z.B mit ihrer Gesundheitsvorsorge?

Maria A. Gestern

Dem mutigen Mann gebührt Hochachtung. Wer sich für andere Menschen selbst in Lebensgefahr begibt, sollte nicht nur mit offiziellem Handschütteln belohnt werden. Menschen, die solche, oder "richtige", Rettungseinsätze aus reinem Übermut oder Respektlosigkeit gegenüber Vorschriften verursachen, sollten zur Entrichtung eines staatlich festgelegten Geldbetrages verpflichtet werden. Um uneigennützigen Helfern und Lebensrettern in Zeiten klammer Kassen eine Anerkennungsprämie finanzieren zu können. Überschüsse, wie es die in schneereichen Wintern geben würde durch das Verunglücken auf gesperrten Pisten, könnten dem Weißen Ring zugeführt werden. Wer jetzt herum mosert - in meinem Bekanntenkreis wird seit Jahren sogar davon gesprochen, dass durch Ignorieren von Vorschriften Verletzte die ganzen Krankenhauskosten selbst tragen sollen.

Blume Gestern

Die Lebensretter sollten eine offizielle Auszeichnung bekommen.
Mein Respekt und meine Hochachtung.

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