
Glaube und Religion Sinkende Mitgliederzahlen: Wie Kirchen in Thüringen eine neue Zukunft finden wollen
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11. Mai 2025, 21:01 Uhr
Sie gehören zum Bild eines jeden Dorfes hinzu, sind Zeugen von Jahrhunderten, oft kann man ihre Türme schon von Weitem sehen. Nirgendwo gibt es auf so engem Raum so viele Kirchen wie in Mitteldeutschland. Zugleich gibt es massive Verluste bei den Kirchenmitgliedern - und damit immer weniger Geld und Engagement für den Erhalt der Kirchen. Wie die Gemeinden damit aktuell und künftig umgehen können - dafür gibt es viele Ideen. Zu denen aber auch Mut gehört.
Sie ist "steinreich": Fast 4.000 Kirchen stehen allein auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) - und damit mehr als in jeder anderen Landeskirche in Deutschland. Besonders ist diese Zahl prozentual gesehen im Vergleich zum Rest von Deutschland: Rund 20 Prozent aller evangelischen Kirchen befinden sich in der EKM - obwohl dort nur gut drei Prozent der evangelischen Christen leben.
Wir schätzen, dass wir ungefähr ein Viertel der Kirchen schon jetzt gar nicht mehr oder ganz selten nutzen.
Die Dichte an Kirchen ist durch die Wiege der Reformation historisch bedingt. Im Schnitt teilen sich heute in der EKM nur 150 Gemeindeglieder eine Kirche. Zum Vergleich: Bundesweit liegt dieser Wert bei 911. Zugleich sinkt die Zahl der Mitglieder weiter. Damit wird deutlich, vor welcher Aufgabe die Kirche steht. Zumal 99 Prozent der Kirchen denkmalgeschützt sind. Der Sanierungsstau wird zunehmend schwieriger für die immer kleiner werdenden Gemeinden.
Ein Viertel der Kirchen wird gar nicht mehr oder selten genutzt
Wie viele Kirchen tatsächlich nicht mehr genutzt werden, ist statistisch nicht erfasst, erklärt Elke Bergt, Leiterin des Bauamts der EKM: "Wir schätzen, dass wir ungefähr ein Viertel der Kirchen schon jetzt gar nicht mehr oder ganz selten nutzen."
Sie glaubt, dass sich die Situation vor allem in den nächsten zehn bis 15 Jahren weiter zuspitzen wird, nicht nur aufgrund sinkender Mitgliederzahlen, sondern auch durch die demografische Situation:
"Mein Vorgänger hat vor 15 Jahren noch davon gesprochen, dass keine Kirche abgerissen wird - ich kann das so heute nicht mehr sagen. Es kann durchaus sein, dass wir mit dem Aufgeben von Kirchengebäuden an wenigen Stellen leben müssen."
Was die Zukunft der Kirchen auf dem Gebiet der EKM betrifft, arbeitet die Landeskirche an der sogenannten Gebäude Konzeption und Bedarfsplanung. Laut Elke Bergt werden die Kirchengemeinden aufgefordert, zu priorisieren: Also die Kräfte und das Finanzielle darauf zu lenken, was die Kirche für die Erfüllung ihres Auftrags braucht und sich dauerhaft leisten kann.
Dann gibt es Kirchen, bei denen gemeinsam mit Kommunen und Vereinen aus den Orten überlegt wird, wie eine gemeinwohlorientierte Nutzung der Kirche künftig möglich ist.
Viele Ideen zur Nutzung der Gebäude
Dazu hat die EKM inzwischen ein Kartenset entwickelt, das den Gemeinden als Hilfe dienen soll. Darauf finden sich zahlreiche Ideen, wie Kirchen alternativ zu Gottesdiensten noch genutzt werden können: Pyjama-Parties mit Konfirmanden, Erste-Hilfe-Kurse, Basare, Orgel-Karaoke oder Silent-Disco.
Elke Bergt weist daraufhin, dass auch in der Vergangenheit Kirchen unter anderem bereits als Wahllokale, Impfstation oder Ort für Bürger-Versammlungen genutzt wurden. Trotzdem gebe es auch Kirchen, die laut Bergt "keiner braucht und keiner will". Hier müsse wirklich überlegt werden, ob und wie das Erbe bewahrt werden könne.
Je eher gehandelt wird, umso größer sind die Chancen, dass viele Kirchen erhalten bleiben - auch wenn sie nicht mehr von den Kirchengemeinden gebraucht werden.
Darauf zielt auch das "Kirchenmanifest" hin. Die 2024 gegründete Initiative von Baukulturforschern, Architekten, Kunsthistorikern und Denkmalschützern sieht Kirchen als Gemeingut an, das erhalten werden müsse. Aus Sicht des Manifests haben Staat und Gesellschaft eine historisch begründete Verantwortung für dieses kulturelle Erbe, der sie sich nicht entziehen dürften, vor allem da die Kirche alleine nicht mehr in der Lage ist, den Bestand zu erhalten. Auch Elke Bergt glaubt, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, die Gebäude nicht zu verlieren.
Große Veränderungen auch in Erfurt
Auch im Bistum Erfurt ändert sich allmählich die Einstellung, was die künftige Nutzung von Kirchen angeht. Laut Dombaumeister Andreas Gold ist die Lage noch nicht so dramatisch wie in der EKM, aber dennoch müsse überlegt werden, was mit Kirchen passiere, die kaum noch oder gar nicht mehr genutzt werden.
So wurden zum Beispiel in Lehna im Eichsfeld oder in Unterwellenborn (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) Kirchen als Lagerort für Kunstgut aus anderen Kirchen umfunktioniert. In Römhild (Landkreis Hildburghausen) wird derzeit eine Kirche an eine Natursteinfirma verkauft, die dort ihre Produkte ausstellen möchte.
Es gibt so viele Gruppierungen, die gerne Skat kloppen, Brettspiele spielen und das nimmt zu. Das sind so Ideen, die kann man sich gut vorstellen. Wie man dann den Raum gestaltet, das ist dann eine zweite Frage.
Auch in Erfurt steht eine große Veränderung an: Bis Ende 2026 werden vier von sieben katholischen Kirchen in der Stadt nicht mehr für Gottesdienste genutzt werden: St. Crucis, St. Georg, St. Martini und die Schottenkirche. Wie es danach weitergeht, ist offen. Ideen gebe es viele, meint Andreas Gold.
Ein Vorschlag sei gewesen, "Spiele-Kirchen" einzurichten: "Es gibt so viele Gruppierungen, die gerne Skat kloppen, Brettspiele spielen und das nimmt zu. Das sind so Ideen, die kann man sich gut vorstellen. Wie man dann den Raum gestaltet, das ist dann eine zweite Frage."
Hoffnung durch neue Ideen
Fest steht laut Elke Bergt: Das Engagement in vielen Gemeinden Thüringens für ihre Kirchen ist groß: "Wir haben ungefähr 400 Kirchbauvereine und Initiativen und die bestehen auch aus Menschen, die nicht Kirchenmitglieder sind." In Kooperation mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen haben Ehrenamtliche, Vereine und kreative Köpfe in den letzten Jahren viel geschafft. Im Rahmen des Projekts "STADTLAND:Kirche" wurde 2016 ein Ideenaufruf gestartet, der sich an alle Menschen richtete - unabhängig von Konfession oder Kirchenbindung.
Ziel war es, neue Nutzungsperspektiven für die rund 2.000 denkmalgeschützten evangelischen Kirchen in Thüringen zu entwickeln. Aus den rund 500 eingereichten Ideen wurden sieben Modellprojekte ausgewählt, die exemplarisch zeigen, wie Kirchenräume neu gedacht und genutzt werden können.
Darunter sind Projekte wie die Herbergskirchen am Rennsteig, die als Pilgerherbergen dienen, die Feuerorgel-Kapelle in Krobitz, die zur Kunstkapelle umgestaltet wurde, sowie die Bienen-Garten-Kirche in Roldisleben. Ein weiteres Beispiel ist die Netzwerkkirche St. Johannis in Ellrich, die als Begegnungsraum fungiert.
Mitten im Prozess für solch eine Umnutzung ist die Martinskirche in Apolda. Die im Jahr 1119 erstmals erwähnte Kirche stand nach Jahrzehnten der Nutzung als Kunstgutdepot vor einer ungewissen Zukunft. Im Rahmen des Projekts "STADTLAND:Kirche" der EKM und der IBA Thüringen entwickelte die Kirchengemeinde gemeinsam mit dem Leipziger Architekturbüro Atelier ST ein Konzept, das die Kirche in ein "Soziokulturelles Zentrum" transformieren soll.
Weil es weniger Gottesdienst-Besucher und weniger Christen gibt, wir aber die wunderschönen Bauwerke der Öffentlichkeit anbieten wollen und sie dem Zusammenhalt der Stadtgesellschaft dienen.
Dabei soll das historische Langschiff von den nicht mehr genutzten Emporen befreit und ein schwebender Baukörper eingefügt werden, der Raum für Gemeindearbeit, soziale Angebote und kulturelle Veranstaltungen bietet. Dieses architektonische Konzept ermöglicht nach Angaben der Kirchengemeinde eine vielfältige Nutzung des Kirchenraums, ohne dessen sakralen Charakter zu verlieren. Die Martinskirche soll somit zu einem lebendigen Zentrum für die Stadtgesellschaft werden. Die Bauarbeiten sollen noch in diesem Jahr starten.
"Sich über traditionell gesetzte Grenzen hinwegsetzen."
Aus Sicht von Gemeindekirchenrat Volker Heerdegen hat das Projekt Vorreiter-Funktion: "Weil es weniger Gottesdienst-Besucher und weniger Christen gibt, wir aber die wunderschönen Bauwerke der Öffentlichkeit anbieten wollen und sie dem Zusammenhalt der Stadtgesellschaft dienen." Auch Gemeindekirchenrat Roberto Bergmann verfolgt das Projekt von Beginn an. Er weiß, dass bei vielen Menschen auch Angst und Zurückhaltung eine Rolle spielt, wenn es darum geht, Kirchen neu zu nutzen und dafür auch umzubauen.
Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.
Dabei hat er ein Zitat vor Augen: "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers." Bergmann meint, dass es dazu Mut brauche, aber dass genau jetzt die Zeit dafür sei: "Kirche wird menschenleer, irgendwann kommt niemand mehr und dann sind die Kirchen zu.
Man muss zeitig genug die Augen öffnen, das Gehirn anschalten, was könnte man machen? Und sich über die traditionell gesetzten Grenzen, mit denen wir groß geworden sind, hinwegsetzen - wenigstens erst mal im Kopf. Und dann entstehen Dinge, von denen man vorher nicht geglaubt hat, dass es das geben würde."
Natürlich heißt es an vielen Stellen auch Abschied nehmen: Seit 2020 wurden in der EKM bereits über 30 Pfarrhäuser verkauft, auch Kirchen stehen zunehmend zur Disposition. Es gibt aber auch Hoffnung, meint Elke Bergt: "Je eher gehandelt wird, umso größer sind die Chancen, dass viele Kirchen erhalten bleiben - auch wenn sie nicht mehr von den Kirchengemeinden gebraucht werden", sagt die Leiterin des Baureferats der EKM. Viele der in den vergangenen Jahrzehnten gesicherten Kirchen sind heute stabil genug, um neuen Ideen Raum zu geben.
Kirche bleibt - aber vielleicht anders
Was bleibt, ist der enorme Wert dieser Gebäude - als Symbol, als Raum für Gemeinschaft, als Quelle von Identität. Und auch wenn sich die Nutzung verändert, bleibt ihre Bedeutung oft bestehen, meint auch Andreas Gold: " Es ist gar keine Frage, dass viele gerne in Kirchen gehen, weil sie eine ganz besondere Ausstrahlung haben. Und wenn die wegfallen würden, ich glaube, das würde selbst den nicht-gläubigsten Menschen wehtun."
Nach Ansicht von Elke Bergt ist es auch das Wissen, dass viele Generationen vorher dort Gottesdienste gefeiert und gebetet haben: "Das macht was mit den Menschen." Es zeigt, dass Kirche vielerorts auch für nicht-religiöse Menschen eine Bedeutung habe, besonders wenn es um die berühmte "Kirche im Dorf" geht. Hier wurde getauft, getraut, getrauert. Wo eine Kirche verfallen würde, gäbe es nicht nur einen baulichen Leerstand, sondern eine emotionale Leerstelle.
Und klar ist auch: Wo sich Menschen - ob gläubig oder nicht - für den Erhalt einer Kirche einsetzen, entsteht ein neues, gemeinsames "Wir". Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft dieser Zeit: Dass Kirchen nicht verschwinden müssen, sondern sich wandeln dürfen. Und dass in diesem Wandel eine Chance liegt - für Gemeinden, für Dörfer, für die Seele des Ortes.
MDR (sw/jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 11. Mai 2025 | 18:00 Uhr
Anita L. vor 6 Tagen
@knarf, das müssen Sie dann schon die geneigte Community fragen; irgendwo waren die Begriffe "woke" und "linksgrün" doch schon aufgetaucht. Fragen Sie am besten dort noch einmal rück.
knarf vor 7 Tagen
Nachgedacht:Vermutlich sind Sie AfD-Fan denn sonst würde Ihnen ein derartiger Text
-Kirche diffamiert AfD-Anhänger-nicht
einfallen und ist meiner Meinung nach erfunden.
knarf vor 7 Tagen
Thomas S:Sie scheinen auf dem falschen Dampfer gelandet zu sein. Hier geht es eigentlich um die Kirchengebäude und nicht exakt über was sich die Kirche noch
Gedanken machen soll.So sehe ich es .