Bundeswerkstatt Industriekultur Tagung auf Ferropolis: Industrieorte wehren sich gegen politische Vereinnahmung
Hauptinhalt
16. Mai 2025, 16:09 Uhr
Die Bundeswerkstatt Industriekultur kam am Donnerstag und Freitag erstmals in Sachsen-Anhalt zusammen. Auf Ferropolis wurde über die großen Herausforderungen diskutiert: Strukturwandel, Migration, Klimakrise. Ein Thema stach aber besonders bevor: Immer wieder werden ehemalige Industrieorte politisch, für extremistische Narrative vereinnahmt. Die Werkstatt widmete sich Strategien dagegen und setzt auf Austausch und Vernetzung.
- Eine bundesweite Tagung zu Industriekultur auf Ferropolis hat politische Themen diskutiert.
- Ein Fokus lag auf Demokratie und der Gefahr extremistischer Gruppen.
- Industriekultur will Raum für Vermittlung und Austausch bieten.
"Industriekultur ist etwas ganz anderes als Hochkultur", sagt Jula Kugler vom Berliner Zentrum Industriekultur und meint damit die Zugänglichkeit. "Du kannst es anfassen, du kannst es riechen, du kannst es fühlen. Das macht den Charme von Industriekultur." Sie ist eine von rund 50 Teilnehmenden der Bundeswerkstatt Industriekultur, die von Donnerstag bis Freitag auf Ferropolis stattfand.
Ferropolis steht exemplarisch dafür, wie einschneidend Industriekultur sein kann – in die Landschaft und für das Leben und Arbeiten der Menschen. Das gibt Orten der Industriekultur die Chance, nah dran zu sein und viele Menschen zu erreichen. Über dieses besondere Potenzial auch zur Demokratiebildung und die derzeitigen Herausforderungen diskutierten die Teilnehmenden der Bundeswerkstatt.
Industriekultur ist etwas ganz anderes als Hochkultur. Du kannst es anfassen, du kannst es riechen, du kannst es fühlen.
Industriekultur und Gesellschaftspolitik
Neben Vertretern von Verbänden waren auch viele Museumsleute auf Ferropolis zu Gast. Fragen der Kulturförderung beschäftigten sie genauso wie große gesellschaftliche Themen: Migration, Teilhabe, die Auswirkungen des Klimawandels auf Orte der Industriekultur. Für Mitteldeutschland sind Fragen des Generationswechsels im besonderen Maße relevant: Viele Einrichtungen werden von älteren Menschen geleitet – und neben dem demografischen Wandel ist auch der fehlende Bezug etwa zu Bergbau ein Faktor.
Eine weitere Diskussion der Bundeswerkstatt drehte sich um den Umgang mit politischen Gruppen. Etwa wenn Menschen mit extremistischer Einstellung an Führungen teilnehmen und dann demokratiefeindiche Aussagen machen. Eine Herausforderung für Museumsmiterarbeitende, wie Josepha Kirchner vom Netzwerk Industriekultur Sachsen-Anhalt erklärt: "Einerseits können Industriekulturorte einen Raum für Austausch bieten. Andererseits müssen sie aber auch gucken, wie sie sich positionieren und mit Kontroversen an diesen Orten umgehehen."
Industriekulturorte können einen Raum für Austausch bieten. Aber sie müssen auch gucken, wie sie sich positionieren und mit Kontroversen umgehen.
Museen als Schauplatz extremistischer Narrative
Demokratische Bildung und die Gefahr politischer Vereinnahmung – Herausforderungen, die in den Gesprächen immer wieder auftauchen. Es wird deutlich: Strukturwandel ist ein durch und durch gesellschaftspolitisches Thema. Seit der Europawahl und der vorgezogenen Bundestagswahl spürt auch Jula Kugler vom Berliner Zentrum Industriekultur den vermehrten Versuch politischer Gruppen, Orte der Industriekultur einzunehmen. Oder diese mit einem anderen Narrativ zu versehen.
"Das sind ja wirtschaftliche Erfolgsgeschichten, die erzählt werden an Orten der Industriekultur", erklärt Jula Kugler. "Aber gerade im Bergbau müssen wir unseren Besucher*innen erzählen, was diese Erfolgsgeschichten für Nebenwirkungen hatten. Und da passiert es zunehmend, dass Gruppen vom extremistischen Spektrum herkommen an Orte und sagen: 'Das ist nicht die richtige Geschichte, die ihr erzählt.'"
Hintergrund: Die Bundeswerkstatt Industriekultur am 15. und 16. Mai 2025 auf Ferropolis
Das Netzwerk Industriekultur Sachsen-Anhalt und der Landesverband Industriekultur Sachsen hatten gemeinsam mit dem Berliner Zentrum Industriekultur und dem Regionalverband Ruhr eingeladen. Nachdem die Bundeswerkstatt zuvor in Berlin und dem Ruhrgebiet ausgerichtet wurde, fand sie dieses Jahr zum ersten Mal in Sachsen-Anhalt statt.
Strategien demokratischer Vermittlung
Die Teilnehmenden der Bundeswerkstatt Industriekultur sprachen über Strategien, damit umzugehen – etwa durch die gezielte Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Sachen Krisenkommunikation oder neue Ausstellungskonzepte.
Wir motivieren Künstler*innen, sich mit der Brache zu beschäftigen und das Material, das dort geblieben ist, in ihre Kunst einzubringen.
Einen künstlerischen Ansatz wählt dabei das sächsische Ibug-Festival. Das Festival für Industriebrachenumgestaltung sucht sich jedes Jahr einen neuen Ort aus, um dort Künstlerinnen und Künstler einzuladen, die ehemaligen Industrie-Orte neu zu beschreiben. Janosch Reichard vom Ibug-Team nimmt ebenfalls eine Zunahme gewaltbereiter Gruppen wahr, doch er sieht Industrievergangenheit auch als künstlerische Chance: "Wir versuchen die Künstler*innen zu motivieren, sich mit der Brache zu beschäftigen und das Material, das dort geblieben ist, in ihre Kunst einzubringen."
Die Zugänge zu Industriekultur sind vielfältig: Vom Freilichtmuseum bis zum Festival für urbane Kunst. Was sie verbindet, ist das Potenzial, viele Menschen anzusprechen. Und das bringt Verantwortung, kann aber auch für demokratische Prozesse genutzt werden – so ein Fazit der Bundeswerkstatt. Durch Erfahrungsaustausch und Vernetzung hofft man, sich auch für zukünftige Aufgaben gut aufzustellen.
Redaktionelle Bearbeitung: hk, lm
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Mai 2025 | 17:10 Uhr