Eine Frau aus Kabul steht an einem Gartenbeet und gießt Gemüsepflanzen.
Engila Ahmadi kümmert sich gerne um ihr Gemüsebeet im Garten. Sie schätzt den Austausch mit den anderen Hobbygärtnerinnen. In Afghanistan hatte sie auch einen großen Garten zu bearbeiten. Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

Interkulturelles Leben in Dresden Ab ins Beet: Gärtnern gegen Einsamkeit im Gemeinschaftsgarten Prohlis

11. Mai 2025, 08:00 Uhr

Es juckt den Hobbygärtnern in den Fingern, endlich Tomaten und Paprika aus den Frühbeeten zu holen und in die vorbereitete Erde zu pflanzen. Da unterscheidet sich der Gemeinschaftsgarten Prohlis nicht von anderen Kleingärten in Sachsen. Doch während viele alleine in ihren Beeten und Rabatten vor sich hin gärtnern, schätzen die Prohliser auch das gemeinsame Tun und den Austausch. MDR SACHSEN war beim Saisonstart im interkulturellen Gemeinschaftsgarten dabei.

Am Holztor zwischen hohen Hecken fährt man schnell vorbei, wenn man zum Discounter oder ins Wohngebiet nach Dresden-Prohlis will. Doch wer genauer durchs Gartentor sieht, erkennt ein grünes Halbrund mit Beeten, Holzpavillon, Frühbeeten und Wiese. Hinter meterhohen Lärmschutzwänden zur Dohnaer Straße hin liegt im Windschatten der 1.400 Qudratmeter große Gemeinschaftsgarten Prohlis.

"Och, ich höre den Lärm gar nicht. Ich achte aufs Vogelgezwitscher und das Grüne", sagt Gandolf Ender. Der Rentner aus Prohlis, der in Südthüringen geboren wurde, arbeitet seit Jahren im interkulturellen Gemeinschaftsgarten mit. Den gibt es seit Mai 2017. In dieser Woche wurde die Gartensaison mit neuen Mitgliedern eröffnet.

Freiwilliger Gieß- und Blumendienst

"Ich bin für die Wassertonnen zuständig und helfe beim Gießen, wenn die anderen etwas vorhaben, vor allem an den Wochenenden", erzählt Ender weiter. Die anderen, das sind wie er 20 aktive Gartenmitglieder und deren Familien oder Freunde aus Dresden. Sie haben Wurzeln in der Türkei, in Österreich, Afghanistan, Syrien und im Irak. Die meisten leben in Prohlis und pflegen Gemeinschaftsbeete in Teamarbeit und auch eigene Flächen.

So wie Engila Ahmadi. Sie gießt gerade ihre Gemüsepflanzen. Zwiebeln und Knoblauch stehen beeindruckend ordentlich in vier Reihen, daneben zartgrüne Tomatenpflanzen und etwas, das die Afghanin erst in Dresden kennengelernt hat. "Auf Teig sieht es dunkel aus. Rote Beete?" Das will sie alles später zum Kochen nehmen.

Hier habe ich Spaß beim Arbeiten in der Erde.

Engila Ahmadi pflegt ein Gemüsebeet im Gemeinschaftsgarten

Auf dem Balkon an ihrer Wohnung sei zwar Platz für Blumen, aber nicht für mehr. "In der Wohnung bin ich oft alleine und traurig. Hier habe ich Spaß beim Arbeiten in der Erde", erzählt die Mutter von vier Kindern. "Man findet gut Kontakt. Hier sprechen wir Deutsch, trinken auch Tee zusammen, wenn schöne Sonne ist. Jeder bringt auch mal etwas aus seiner Küche mit", erzählt sie.

Gespräche über Fluchterfahrungen und Freude im Stadtteil

Das bestätigt Rentner Gandolf Ender. Soeben hat er sich aus einer Schüssel einer älteren Hobbygärtnerin ein süßes Gebäckteilchen geangelt, das ihm lecker schmeckt. "Ja, wir reden über unsere Leben. Die Menschen erzählen, was sie erlebt haben. Ich habe da schon viel erfahren. Manche Erlebnisse machen auch sehr betroffen", meint der ehemalige Eisenbahner.

Andererseits gehe es auch fröhlich bei und nach der Arbeit zu. Im Gemeinschaftsgarten gibt es Familienfeste, Sommerkino, mit Dutzenden anderen Ehrenamtlichen organisiert der Projektgarten Stadtteilfeste und zu Halloween eine Kinderparty. "Wenn es den Garten nicht gebe, würde mir was fehlen", sagt Ender.

Ich liebe diesen Garten. Glauben Sie's oder nicht: Er ist eine Wohlfühloase.

Gandolf Ender Rentner und Hobbygärtner

Die Experten fürs Grobe

Ohne sein Gemüsebeet im Gemeinschaftsgarten hätte Ahmad Alalaf zwar immer noch genug Arbeit als Familienvater und im Pachtgarten etwas weiter weg. "Dort habe ich viel zu machen, arbeite aber immer allein. Hier komme ich her, drei, vier Mal in der Woche. Ich treffe gute Leute." Alalaf war in seiner Heimat Mossul im Irak Elektriker. Im Gemeinschaftsgarten ist er mit fürs Grobe zuständig: In den vergangenen Jahren haben er, der Projektmitarbeiter Thomas Hehn und Helfer mehrere Unterstände und den Pavillon für die Outdoor-Küche gebaut. In diesem Jahr wollen sie einen Pizzaofen errichten.

Zwei Männer schleppen Ziegelsteine und schichten sie zu einer kleinen Mauer im Garten auf.
Ziegelsteine schleppen für den Unterbau des neuen Pizzaofens: Ahmad Alalaf (li.) und Thomas Hehn teilen sich die Arbeit. Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

Großer Kosmos hinter kleinem Garten

Solche Projekte bereden die Gemeinschaftsgärtner im Winter, wenn es draußen nichts zu gärtnern gibt. "Wichtig ist, dass die Ideen von den Menschen kommen und sie anpacken. Wir delegieren nichts", sagt Thomas Hehn, der ursprünglich Ergotherapeut war. Im Gemeinschaftsgarten ist er Sozialarbeiter, aber auch Hausmeister, Gartenexperte und Handwerker.

Viele Projekte und bald auch Honig schlecken?

Imkern, planen, werkeln, Feste für den Stadtteil organisieren und feiern - all das gehört für Projektleiterin Caroline Knoblich zum Ziel der Inklusion und sozialen Integration. "Über das Tun und die Teilhabe am Projekt kommt es zu Austausch, Mitgestaltung und Mitentscheidung. Die Menschen sollen positive und ganz alltagspraktische Selbstwirksamkeitserfahrungen machen." Über Auslastung beklagen sich die Prohliser nicht, freie Beete haben sie für diese Saison nicht mehr zu vergeben. Aber helfende Hände seien immer willkommen. Regelmäßig gebe es zudem Workshops und Fahrrad-Reparatur-Anleitungen.

Weil neuerdings auch zwei Imker aus Dresden mitmachen, steht im hinteren Teil des Gartens ein Bienenstock. "Wir sind schon gespannt auf den ersten Honig in diesem Jahr", sagt Knoblich.

Unter einem Pavillon stehen mehrere Männer und beugen sich über ein Kinderfahrrad, das repariert werden soll.
Ehrenamtliche der Werkstatt Prohlis kommen regelmäßig in den Gemeinschaftsgarten und bieten Fahrrad-Checks an. Dabei können Kinder lernen, ihr Rad selbst zu reparieren. Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

Zwar hangele sich das Gartenprojekt von Jahr zu Jahr, weil um jeden Fördermittelzuschuss gekämpft werden müsse, doch trotz der Geldsorgen blicken Caroline Knoblich und Thomas Hehn in die Zukunft. Sie sehen den Garten als Mehrgenerationengarten, in dem alle sozialen Gruppen jeden Alters einen Treffpunkt finden: Jüngere, Ältere, Familien mit Kindern und Alleinlebende.

Ein Mitte 20-Jähriger hält seinen einjährigen Neffen auf dem Arm und blickt in die Kamera.
Abdul Raouf Karimi passte auf seinen kleinen Neffen auf, während sein Bruder ein Kinderrad zur Reparatur mitbrachte. Den Garten kannte er bislang nicht. "Vielleicht komm' ich hier nach der Arbeit mal vorbei", sagte er. Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regioreport aus dem Studio Dresden | 07. Mai 2025 | 16:30 Uhr

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