Kommentar Uli Wittstock 2 min
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Kommentar "Deutsch Denken" – Sachsen-Anhalts AfD im Kulturkampf

19. Mai 2025, 11:42 Uhr

Sachsen-Anhalts AfD hat den Kulturkampf für sich entdeckt. In dieser Woche forderte die Partei im Landtag eine neue Imagekampagne für das Land: "Deutsch Denken". Damit soll eine Art Nationalstolz befördert werden. Für MDR-Politikreporter Uli Wittstock ein kritischer Vorstoß. Ein Kommentar.

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In DDR gab es eine Art Arbeiterstolz. Das war zum einen ideologisch begründet, schließlich war die DDR dem Selbstverständnis nach eine Arbeiter- und Bauernrepublik. Zum anderen definierten sich viele Menschen über ihre Tätigkeiten, man war, was man tat: Bergmann, Krankenschwester, Bauarbeiter. Im digitalen Kapitalismus definiert sich kaum noch jemand über seine Tätigkeit. Es zählen andere Werte: Besitz, Selbstverwirklichung oder Anzahl der Follower in den sozialen Netzwerken.

Es wundert nicht, dass sehr viele Menschen klagen, in diesem neuen Wertekanon nicht mehr sichtbar zu sein. Medien wird vorgeworfen, nicht mehr über "normale" Menschen zu berichten. Jeder kann zwar mitmachen bei Facebook, TikTok oder Youtube, aber auch hier gelten die Regeln der Prominenz: Wer im Wettbewerb der Schrillheit nicht mithält, wird überhört. Es gibt also sehr viele Menschen, die ein grundlegendes Unbehagen mit der Gegenwart haben, weil sie sich übergangen fühlen. Populisten machen sich weltweit diese Situation zunutze.

Nationalstolz ohne Verantwortung?

Mit der Kampagne "Deutsch Denken" verspricht nun die AfD ein neues Selbstbewusstsein, das quasi ererbt wird, also an keine besonderen Voraussetzungen gebunden ist. Unklar ist allerdings, ob auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte diesen Stolz entwickeln dürfen. Nun ist das Thema Nationalstolz ein schwieriges, denn die deutsche Geschichte hat im letzten Jahrhundert so viele Leichenberge aufgehäuft, begründet mit einem rassisch motivierten Nationalstolz, dass man 80 Jahre später eben nicht von einem "Vogelschiss der Geschichte" sprechen kann, wie es mal der prominente AfDler Alexander Gauland erklärte.

Wenn nun aber Sachsen-Anhalts AfD fordert, die Fahrten an die Gedenkstätten der Nazi-Verbrechen einzustellen, dann ist das offenbar der Versuch, den Zusammenhang von falsch verstandenem Nationalstolz und seinen verbrecherischen Folgen zu leugnen. Die jetzigen Generationen sind natürlich nicht für die Taten ihrer Vorfahren verantwortlich, aber sie stehen in der Pflicht, mit diesem dunklen Erbe verantwortlich umzugehen. Dies im Übrigen auch, um eine Wiederholung auszuschließen. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf andere Länder verwiesen, insbesondere auf deren Kolonialgeschichte. Die Engländer, Franzosen, Holländer oder Belgier haben ebenfalls zahlreiche Verbrechen zu verantworten. Aber die industrielle Massenvernichtung von Millionen Menschen ist ein menschheitsgeschichtlich einmaliger Vorgang, der nicht relativiert werden kann.

Nietzsche contra Nationalstolz

Es ist im Übrigen kein Zufall, dass Populisten weltweit das Thema "Kultur" für sich entdecken. Denn dieser Bereich ist der einzige, indem sich durch staatliche Eingriffe schnell Änderungen erzielen lassen. Für die großen Probleme Sachsen-Anhalts wie zum Beispiel Überalterung, Fachkräftemangel, medizinische Versorgung oder Innenstadtsterben gibt es von der AfD, wie auch von den übrigen Parteien, keine Antworten. So also wird die Kultur zum Schlachtfeld. Die allerdings ist inzwischen darauf vorbereitet.

Als im letzten Jahr die AfD eine Attacke gegen das Weltkulturerbe Bauhaus Dessau ritt, stand die betroffene Einrichtung allein da. Noch bevor die AfD am Mittwoch das Thema in den Landtag einbrachte, gab es diesmal schon eine gemeinsame Reaktion aller Kulturstiftungen Sachsen-Anhalts – mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche: "Deutsch denken, deutsch fühlen - ich kann Alles, aber das geht über meine Kräfte." Der Philosoph Friedrich Nietzsche, in Röcken bei Naumburg geboren und gestorben, gilt als ein Säulenheiliger in konservativen Kreisen. Und auch Nietzsche misstraute offenbar einem übergroßen Nationalstolz. Er schränkt nämlich das Denken ein.

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MDR (Uli Wittstock) | Erstmals veröffentlicht am 17.05.2025

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. Mai 2025 | 12:00 Uhr

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