Auto rast in Menschenmenge, Einsatzkräfte sind am Tatort und haben den Bereich weiträumig abgesperrt.
Seit dem Anschlag in Magdeburg setzt sich Sachsen-Anhalts Landesregierung dafür ein, dass die Polizei auf mehr Daten zugreifen kann Bildrechte: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Kritik an Gesetzentwurf Droht eine grundgesetzwidrige Super-Datenbank bei der Polizei?

19. Mai 2025, 20:34 Uhr

Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt will das Innenministerium in Sachsen-Anhalt ein Gesetz ändern und dadurch mehr Datenaustausch zwischen den deutschen Polizeibehörden ermöglichen. Experten sehen das als Eingriff in Grundrechte. Sie befürchten eine Super-Datenbank.

Seit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt setzt sich Sachsen-Anhalts Landesregierung dafür ein, dass die Polizei auf mehr Daten zugreifen kann. Bereits im Januar hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) im Landtag einen gemeinsamen "Datenraum" für alle Polizeien in Deutschland gefordert und angekündigt, sich im Bundesrat für eine automatisierte Datenanalyse einzusetzen.

Haseloff: "Informationen müssen besser zusammengeführt werden können"

Den entsprechenden Beschluss hatte Sachsen-Anhalts Landesregierung im Februar zusammen mit Bayern, Berlin und Hessen eingebracht. Damals sagte Haseloff: "Zukünftig müssen vorliegende Informationen ebenen- und fachübergreifend besser zusammengeführt werden können, um eine effektive und fundierte Gefährdungsbewertung und schnelles staatliches Handeln zu ermöglichen." Wie sich aber damit der Anschlag in Magdeburg hätte verhindern lassen können, hat Haseloff nicht gesagt.

Für einen solchen "Datenraum" will Sachsen-Anhalts Landesregierung nun die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Geht es nach dem Innenministerium sollen auf einer Analyseplattform deshalb Daten automatisiert zusammenführt werden. Im Gesetzentwurf sind mehrere Quellen dafür genannt: Vorgangsdaten, Daten aus dem Informationssystem der Polizei und dem zwischen Bund und Ländern, Daten aus Funkzellenabfragen, Telekommunikationsdaten und Daten aus Asservaten. Nicht dort enthalten sein sollen Daten aus der Wohnraumüberwachung oder Online-Durchsuchung. Mit dem Internet soll die Plattform nicht unmittelbar verbunden werden.

Experten kritisieren: "Superdatenbank der Polizei durch die Hintertür"

Rechtswissenschaftler Jonas Botta ist auf Sicherheits- und Datenschutzrecht spezialisiert und arbeitet in Berlin beim Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung. Für den Landtag hat er eine Stellungnahme verfasst. Er kritisiert, dass nicht ausgeschlossen sei, dass Polizisten Informationen aus Social Media in die Analyseplattform eintragen. "Es ist wirklich ein umfassender Datenschatz, der mit Paragraph 30a gehoben werden soll."

Ein weiterer Kritikpunkt: Es sei unklar, wer automatisierte Datenanalysen durchführen dürfe. "Ein Blick nach Hessen zeigt, dass dort nicht nur ein kleiner Kreis, sondern teilweise Hunderte von Beschäftigten zugreifen konnten."

Botta sagt, es sei legitim, die Datenanalysefähigkeiten der Polizei zu verbessern. Aber das müsse im Einklang mit den Grundrechten geschehen. Für Botta steht fest: "Der aktuelle Entwurf verstößt gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung." Aus seiner Sicht drohe auch eine "Superdatenbank der Polizei durch die Hintertür".

Das ließe sich zwar nicht aus dem Gesetz ableiten, aber aus der Begründung dafür: Dort hieße es unter anderem, ein aufbereiteter Datenbestand müsse unmittelbar zur Verfügung stehen. "Daraus lässt sich schließen, dass eben nicht nur anlassbezogen für eine konkrete Datenanalyse, sondern dauerhaft Daten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengeführt werden sollen", so Botta. Dieser Grundrechtseingriff ließe sich allenfalls durch eine gesonderte – bislang nicht vorgesehene – Rechtsgrundlage rechtfertigen.

Zeugen und Begleitpersonen sollen in Superdatenbank landen

Er kritisiert außerdem, dass nicht verbindlich vorgeschrieben sei, ob und wie oft der Einsatz der Software kontrolliert werden soll. Dabei sieht er Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte in der Pflicht: "Sie muss verpflichtet sein, im aktiven Betrieb Kontrollen durchzuführen, mindestens alle zwei Jahre." Mit Stichprobenkontrollen ließe sich ausgleichen, dass gegen solche heimlichen Maßnahmen oft kein ausreichender Rechtsschutz möglich sei, weil Betroffene gar nichts davon wissen. So weit geht Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte Rost nicht.

Maria Christina Rost steht im Landtag von Sachsen-Anhalt auf der Zuschauertribüne und lacht.
Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte Rost: Es sei nicht ausgeschlossen, dass Social Media Posts aus dem Internet in der Datenbank landen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Sie schließt sich allerdings der Kritik an, dass in der Datenbank Menschen landen, die dafür keinen Grund geliefert haben. "Hierzu zählen Zeugen, Menschen, die Fundsachen zurückgegeben haben oder auch Begleitpersonen." Solche Menschen in die Analyse einzubeziehen, sei unverhältnismäßig: "Unsere Rechtsordnung beruht auf der Idee, dass Personen nur Ziel polizeilicher Maßnahmen sein dürfen, wenn ihr individuelles Verhalten Anlass dafür gibt." Eine entsprechende Änderung hat das Innenministerium abgelehnt.

Unsere Rechtsordnung beruht auf der Idee, dass Personen nur Ziel polizeilicher Maßnahmen sein dürfen, wenn ihr individuelles Verhalten Anlass dafür gibt.

Maria Christina Rost Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte

Dass Daten von Zeugen einfließen, hält Sachsen-Anhalts CDU-geführtes Innenministerium offenbar für unproblematisch. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT antwortet es schriftlich: "Die Einbeziehung rechtmäßig gespeicherter personenbezogener Daten von Zeugen in die Datenanalyse erscheint für die Erfüllung der Aufgaben der Polizei unverzichtbar."

Kriminologe: "Nicht alle Daten in einen Topf werfen!"

Porträtaufnahme eines Mannes mit grauen Haaren und in grauem Anzug mit weißem Hemd und lila Krawattel
Kriminologe Singelnstein hält nichts davon, Verurteilte, Verdächtige, Verletzte und Zeugen in einer Datenbank zu sammeln. Bildrechte: Ruhr-Universität Bochum

Einer der renommiertesten deutschen Kriminologen, Tobias Singelnstein von der Goethe-Uni Frankfurt hält nichts davon, Verurteilte, Verdächtige, Verletzte und Zeugen in einer Datenbank zu sammeln. Es sei zwar richtig, dass Bund und Länder die Datenbank-Infrastruktur auf völlig neue Beine stellen, weil die Datenverarbeitung der Polizei den heutigen technischen Möglichkeiten hinterherhänge. Aber: "Man kann diese Datenbanken nicht einfach in einen großen Topf werfen und komplett auswerten", so Singelnstein.

Dabei gibt es erheblichen Zweifel, dass diese Art der Datenanalyse überhaupt zu guten Ergebnissen führt.

Datenschutzbeauftragte: Datenbestände regelmäßig reinigen

Auch Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte Rost kritisiert, dass nicht ausgeschlossen sei, dass Social Media Posts in der Datenbank landen. "Es ist möglich, dass die Polizei selbst Informationen aus dem Internet recherchiert und manuell in die Analyseplattform einspeist."

Sie fordert, die Datenbestände regelmäßig zu bereinigen und nennt als Beispiel die Cannabis-Legalisierung, wegen der bestimmte Delikte nicht strafbar sind und die nun aus den Daten gestrichen werden müssten. Grundsätzlich steht eine Frage im Raum, sagt Rost: "Was passiert, wenn sich herausstellt, dass Daten in die Datenanalyse eingeflossen sind, die sich eigentlich nicht mehr in polizeilichen Datenbeständen befinden dürfen?" Unklar ist allerdings, wie aufwändig es ist, die Daten von Zeugen und Begleitpersonen aus Datenbanken zu entfernen.

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MDR (Marcel Roth, Hanna Kerwin)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 19. Mai 2025 | 12:00 Uhr

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