Interview"In Deutschland hätte ich meine Ideen nicht so realisieren können"
Der gebürtige Dresdner Richard Socher zählt zu denjenigen, die im Silicon Valley ganz vorne mitmischen. Mit seiner Forschung legte der KI-Pionier wichtige Grundsteine für Anwendungen wie ChatGPT. Im Interview erzählt er von den Anfängen in seiner kalifornischen Wahlheimat – und was er sich für KI-Entwicklungen in Deutschland erhofft.
MDR AKTUELL: Sie leben seit über 15 Jahren in den USA. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke?
Richard Socher: Ich kam damals über einen kurzen Umweg in New Jersey und Princeton für ein Jahr nach Stanford und habe mich direkt in die Uni verliebt. Dort habe ich zwar sehr viel gearbeitet, aber man hatte das Gefühl, eine halbe Stunde pro Tag hat man Urlaub. Man sitzt zwischen Palmen, isst in den Dining Halls der Mensen, die sehr gutes Essen haben, und danach arbeitet man wieder bis in die Puppen. Aber man hat eben jeden Tag gefühlt ein kleines Urlaubsfenster.
Die erste Verknüpfung mit der Tech-Branche hatte ich dann gegen Ende des Ph.D, als Venture Capital Investoren mich angemailt haben und gesagt haben: Wow, deine Forschung hat jetzt schon so viel Impact als Doktorand. Wir würden gern mit dir reden und dir vielleicht Geld geben, um deine Forschung in eine Firma umzuwandeln.
Zur PersonDer gebürtige Dresdner Richard Socher zählt zu den meistzitierten KI-Forschern. Nach seinem Studium der Computerlinguistik in Leipzig und Saarbrücken zog es ihn in die USA. Dort legte er an den Elite-Universitäten Princeton und Stanford mit seiner Forschung zur Sprachverarbeitung von neuronalen Netzen wichtige Grundsteine für KI-Anwendungen wie ChatGPT.
Nach seiner Promotion gründete Socher 2014 das Startup "MetaMind", das 2016 von "Salesforce" übernommen wurde. Nach mehreren Jahren als "Chief Scientist" bei dem KI-Unternehmen gründete er 2020 mit "You.com" erneut ein Unternehmen, dem er bis heute als CEO vorsteht. Die TU Dresden verlieh Socher im April 2024 für seine Forschung die Ehrendoktorwürde.
War das auch ausschlaggebend für Sie, dauerhaft in Kalifornien zu bleiben?
Für mich war es immer wichtig, dass ich da bin, wo die beste KI-Forschung passiert. Nach Stationen in Leipzig, Saarbrücken und einem Erasmus-Jahr in Frankreich stand für mich fest, dass ich nach Stanford will und nach einigen Ablehnungen habe ich das auch geschafft.
Meine Hoffnung war dann eigentlich, Professor zu werden, und ich bekam auch ein Angebot für eine Professur. Die habe ich aber erstmal verschoben, um mein Startup auf den Weg zu bringen, und als ich mein Team angestellt hatte und alles lief, wollte ich das nicht einfach aufgeben. Gleichzeitig konnte ich auch innerhalb meines Startups noch weiter zu KI forschen. Und Stanford hat mir erlaubt, nebenbei die erste Vorlesung in der Welt für neuronale Netze für Sprachverarbeitung zu halten.
Hätten Sie in Deutschland eine ähnliche Karriere machen können?
Ich hatte auch Angebote für Doktorandenstellen in Deutschland und habe schon eine Weile darüber nachgedacht. Aber ich hatte das Gefühl, meine Ideen in Deutschland nicht so gut realisieren zu können. In den USA fing ich dann bei einem der berühmtesten Professoren für Sprachverarbeitung an. Diese Fachrichtung hat damals die neuronalen Netze fast vollständig abgelehnt. Aber als ich ihm meine Ideen vorstellte, sagte er: 'Ich kenne mich zwar mit neuronalen Netzen auch nicht aus, aber das lernen wir zusammen' – und das haben wir dann gemacht.
So etwas gibt es in Deutschland nicht so häufig. Ich sage nicht, dass es das nie gibt. Aber in Deutschland werden Professoren häufiger etwa für bestimmte Algorithmen in der Informatik berühmt und arbeiten dann vor allem in diesem Bereich. Selten machen sie etwas komplett Neues.
Zum anderen gibt es keine Venture-Capital-Investoren, die sich die Top-Doktoranden in Deutschland anschauen und sagen: 'Wow, supercoole Forschung, zigtausend Zitierungen von deinen Papers, wir geben dir vier Millionen Dollar und schauen mal, ob da etwas Cooles bei rauskommt.' Das habe ich so in Deutschland noch nicht gesehen.
Kann Deutschland denn dann überhaupt noch aufholen?
Der deutsche Föderalismus tut sich da in jedem Fall schwer. Man sagt: Wir wollen auch Weltspitze sein, hier ist eine Milliarde Euro. Die wird dann aber erstmal durch 16 geteilt. So schafft es keine deutsche Uni in die weltweiten Top 10. Dabei würde es dem gesamten Standort helfen, wenn Deutschland als ein Land zusammenkommt und eine Uni richtig nach vorn pusht.
Denn wenn man es erstmal in die Top 10 der Uni-Rankings geschafft hat, wird es ein bisschen ein Selbstläufer. Die meisten schlauen Leute der Welt aus Indien, aus China, aus Großbritannien, Frankreich oder Deutschland versuchen, in diese Unis reinzukommen. Auch für die Professoren dort wird es dadurch einfacher, auch weiterhin die beste Forschung zu machen. Da gibt es Zyklen, die sich verstärken. Man muss aber erstmal sehr hart arbeiten, um dorthin zu kommen.
Sehen Sie umgekehrt auch Bereiche, wo Deutschland im Bereich KI schon heute punkten kann?
Da sind vor allem die Naturwissenschaften zentral. Hier ist Deutschland sehr stark und in dem Bereich sind auch einige der besten Anwendungen für KI. Alle wollen bessere Batterien haben, billigere Energie, bessere Medikamente billiger entwickeln, mehr Menschen länger leben lassen, gesünder bleiben. Da kann Deutschland sehr viel mitgestalten.
Gleichzeitig gilt es eben, nicht den Anschluss zu verpassen. Deutschland hat heute nur deshalb so viel Wohlstand, weil es in vorherigen industriellen Revolutionen sehr viel mit entwickelt und erfunden hat. Aber wenn es noch weitere Technologiewellen verpasst – das Internet, Computer, Mobiltelefone – wird es mit jeder verpassten Technologiewelle weiter zurückfallen. Irgendwann wird es dann schwierig sein, die drittgrößte Industrienation zu bleiben.
Die digitale Abhängigkeit von Deutschland und Europa ist massiv. Welche Chancen rechnen Sie Bemühungen zu, hier ein komplettes digitales Ökosystem aufzubauen?
Alles ist möglich, wenn man nur wirklich dahinter steht und den Willen hat. Ich bin konstruktiver Optimist. Deutschland hat genügend schlaue Köpfe und es gibt unglaublich viele Menschen, die mitgestalten wollen.
Ich habe schon die Hoffnung, dass wir irgendwann alles besser digitalisieren. In den USA kann ich komplett digitalisiert eine Firma gründen. In Deutschland muss ich dafür zu einem Notar gehen und mir den gesamten Vertrag vorlesen lassen – als ob man nicht selbst lesen könnte. Gerade mit längeren, komplexen Verträgen verliert man da schnell acht bis zehn Stunden. Es gibt ein paar Regelungen, da greift man sich wirklich an den Kopf.
Seit der erneuten Präsidentschaft von Donald Trump sind die Beziehungen zwischen den USA und Europa schwieriger geworden. Erwarten Sie, dass das jetzt den nötigen Schwung bringt, um die digitale Unabhängigkeit hier voranzubringen?
Das hängt natürlich davon ab, welche Gelder man bereitstellt. Wenn ich mir zum Beispiel das Verteidigungsbudget anschaue: Damit lässt sich viel machen und gleichzeitig kann man KI für alles anwenden. KI kann Brustkrebs klassifizieren, Gehirntumore verstehen, Blutwerte besser analysieren, aber auch in Drohnen installiert werden. Wenn wir da also ein paar Milliarden in die KI-Forschung stecken, lässt sich das für alles anwenden – inklusive Verteidigung. Das wollen Trump und Vance pushen, aber das wäre vielleicht auch nicht schlecht für Deutschland.
Einige meiner Papers, für die wir zum Beispiel an Übersetzung gearbeitet haben, waren auch vom Militär bezahlt. Praktisch haben wir einfach neuronale Netze entwickelt, die besser Sprache übersetzen. Und natürlich braucht auch das Militär Übersetzungen, aber vor allem helfen Übersetzungen, damit Menschen besser miteinander kommunizieren können. Mittlerweile kann man überallhin reisen und sich am Handy Straßenschilder oder Menüs übersetzen lassen. Das bringt die Welt auch zusammen. Aber diese Technologien wurden teilweise über Militärforschungsgelder entwickelt.
Welche Rolle sollten aus Ihrer Sicht Regulierungen bei der Entwicklung von KI spielen – etwa im Bereich Gemeinwohlorientierung oder Nachhaltigkeit?
Regulierung ist wichtig, wenn KI bestimmte Lebensbereiche beeinflusst und je wichtiger der Lebensbereich ist – Medizin etwa oder Verkehr – desto wichtiger ist die Regulierung. Man sollte nicht KI-Autos einfach mal so auf die Autobahn loslassen, ohne dass die vorher gründlich getestet und zertifiziert wurden. Man sollte nicht einfach einen KI-Chirurgen mal in einem Gehirn operieren lassen und mal schauen, ob es klappt oder nicht.
Aber KI bietet in vielen Bereichen große Chancen und kann Prozesse effizienter, billiger, schneller und an vielen Stellen auch besser machen. Mittlerweile ist man fast nachlässig, wenn man nicht eine KI nach einer Zweitmeinung zu einem Gesundheitsproblem fragt. Denn die KI kann alle Paper der letzten Jahre durchlesen – auch die ganz neuen, die erst vor ein paar Wochen rausgekommen sind – kann das verknüpfen mit deinen Blutwerten, CT-Scans und anderen Resultaten. Da wird es immer schwieriger für Ärzte mitzuhalten.
Was sind Ihre nächsten Visionen, die Sie gerne umsetzen möchten?
Die Wissensarbeit – also alle Arbeit, die wir an einem Computer machen – wird sich in den nächsten Jahren teilweise automatisieren und insgesamt effizienter gestalten. Das wollen wir aktiv mitgestalten.
Unsere Antwortmaschine You.com ist schon immer mehr eine Produktivitätsmaschine geworden. Mit einem monatlichen Abomodell haben wir geschaut, wer will für unsere bessere Suchmaschine bezahlen? So kamen wir zu sogenannten Wissensarbeitern: Journalisten, Consultants, Finanzanalysten, Versicherungsbeamte, Hedgefondsmanager. Die haben viele Vorteile, wenn sie You.com nutzen statt Google. Sie bekommen bessere Antworten und können Zeit sparen.
Bei Google stellen die meisten Nutzerinnen und Nutzer meist relativ simple Fragen: Wie ist das Wetter heute, wie ging das Fußballspiel aus, wie ist der Aktienstand? Der durchschnittliche Nutzer fragt normalerweise nicht: Lies diese zehn Paper und fasse sie mir zusammen, gib mir eine neue Statistik und eine Grafik, um dieses oder jenes besser zu verstehen. Genau da setzen wir an: Dass unsere KI-Agenten nicht nur Antworten geben, sondern darauf aufbauend auch Aufgaben für uns ausführen.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 08. Mai 2025 | 21:45 Uhr